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Wallentin, Jan

Wallentin, Jan

Titel: Wallentin, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strindbergs Stern
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endgültige Position des
Strahls.
    Wenn sie
die Augen schloss und in sich hineinhorchte, befand sich die Stimme der Mutter
ganz nahe. All die Einflüsterungen, die sie zuvor vom Kreuz vernommen hatte,
waren jetzt zu einer einzigen zusammengeschmolzen. Es hatte bereits zu ihr
gesprochen, als sie sich der Jamal näherten,
und Elena wollte nichts lieber, als sich forttreiben zu lassen und in Zeit und
Raum zu verschwinden.
    In ihrem
schmerzenden Kopf begann sich der Ton der Stimme zu verändern. Er klang jetzt
immer eindringlicher, als wolle er eine Reaktion herbeiführen. Immer wieder
hörte sie die inzwischen wohlbekannten Worte:
    »Devi
portacela, Elena, bring es uns. Questo deve finire, es muss ein Ende haben.«
    Doch Elena
wusste nicht, welche Antwort von ihr erwartet wurde. Sie wollte nur daliegen
und zuhören und in Ruhe in die Träume ihrer Kindheit zurücksinken. Dort sah sie
Küchenschränke, goldgelbe Tapeten, und hinten über dem Stuhl lag der Mantel,
den Mutter gleich hochnehmen würde.
    »Devi
portacela, Elena«, unterbrach sie die Stimme.
    Die Augen
der Mutter blickten so traurig.
    »Deve
finire, es muss ein Ende haben.«
    Und zum
ersten Mal hörte Elena sich selber murmeln:
    »Ti
sento, ich höre dich. Ti sento, madre.«
    Die Welle,
die ausgehend vom Kreuz durch den Rumpf des Eisbrechers und die eisigen
Wassermassen hindurch zu ihr hinunterströmte, war so warm, dass es ihr
unmittelbar den Atem verschlug.
     
    Kursänderung
     
    Möglicherweise
war es der pfeifende Sturm oder das ewige Bersten der Eisschollen, doch
irgendetwas erschwerte es dem Reiseleiter David Bailey, zur Ruhe zu kommen. Er
fragte sich, wie lange er schon dort in seiner Kabine im Bett gelegen und sich
gewunden hatte und tastete mit einer Hand nach dem Nachttisch.
    Noch bevor
er die Schlafbrille abgenommen hatte, fand er sein kleines schwarzes
Smartphone. Er schaltete es an, um zu sehen, wie spät es war, doch nachdem er
festgestellt hatte, dass es fast drei Uhr nachts war, erregte etwas anderes auf
dem grünlich schimmernden Display seine Aufmerksamkeit.
    Irgendetwas
an der satellitengesteuerten Positionsangabe war nicht in Ordnung, dachte
Bailey und schüttelte den Minicomputer mit der Hand, doch die beweglichen
GPS-Koordinaten weigerten sich, ihre Werte zu ändern. Eine kurze Weile lag der
Reiseleiter einfach nur da, misstrauisch auf die Zahlen starrend, doch
schließlich musste er sich eingestehen, dass der Eisbrecher tatsächlich seinen
Kurs geändert hatte.
    Er hatte
sich halb um sich selbst gedreht, und statt auf dem Weg zum Nordpol zu sein,
bahnte sich die Jamal jetzt geradewegs in Richtung Süden
eine Spur durch das Eis.
     
    Als es
Bailey gelungen war, die Treppen zu erklimmen und die Kommandobrücke zu
erreichen, stellte er fest, dass die getönten Glastüren verschlossen waren. Er
zögerte einen Augenblick, doch dann klopfte er an.
    Der
russische Matrose, der ihm öffnete, war nicht besonders beeindruckt von dem
kleinen GPS-Gerät des Reiseleiters. Er deutete mit finsterer Miene auf Kapitän
und Chefingenieur, die im bläulichkalten Schein der Kommandoanlagen standen.
Durch die Fensterfront vor ihnen konnte man kaum das Vordeck des Eisbrechers
erkennen, obwohl alle Scheinwerfer in Richtung der im Sturm umhertreibenden
Schneewehen strahlten.
    Der
Kapitän schaute nicht mal auf, als Bailey sich direkt neben ihn stellte.
Unterhalb des bärtigen Gesichts zog der Rundsichtradar seine Kreise.
    »Kapitän
Sergej Nikolajewitsch«, fragte David Bailey, »warum sind wir umgekehrt? Was hat
es damit auf sich? Müssen die Passagiere informiert werden?«
    Der
Kapitän wandte sich ihm mit unergründlichem Blick und geschlossenen Lippen zu.
Bailey konnte sein eigenes Spiegelbild in seiner schwarzen Sonnenbrille sehen
und vernahm schließlich die schwache Stimme des Chefingenieurs:
    »Aufgrund
des Schneeunwetters und einer Reihe anderer Faktoren wird es zu einer gewissen
Verzögerung der Nordpolreise kommen. Wir werden einige Tage lang auf einer
Position um die fünfzig Seemeilen südwestlich von hier liegen bleiben.«
    »Liegen
bleiben?«, keuchte David Bailey. »Südwestlich? Aber der Vertrag ...«
    »Unsere
höchste Priorität hat, wie Sie sicher verstehen werden, die Sicherheit aller
Passagiere an Bord.«
    Als der
Chefingenieur verstummte, und der Kapitän keine weiteren Erklärungen abgab,
begann Bailey sich in dem Raum mit all den aufblinkenden Instrumenten
umzusehen.
    Zwischen
den russischen Uniformjacken erblickte er ein

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