Wallentin, Jan
mitten im Januar 1917 auf unserem Stützpunkt
auf Svalbard auf.«
»Olaf?«
Lytton
nickte.
»Er wollte
zurück ins Unternehmen. Und wissen Sie, Senor Titelman, genau darauf hatte ich
während all dieser Jahre gewartet. Nach den Erfolgen im Krieg sah alles so
vielversprechend aus. Die Geschäfte entwickelten sich, und wir waren bereit,
ein höheres Risiko einzugehen. Unsere Forscher hatten dort unten in der Tiefe Lösungsansätze
für das Mysterium des Alterns gefunden: die Doppelhelix der Nukleinsäure, die
die Basis der primitiven Theorien in der modernen Wissenschaft bezüglich der
DNA bildet. Doch anstatt uns zu helfen, die Wissenschaft voranzubringen, stahl
Olaf Strindbergs Stern und Kreuz. Der Junge muss das Ganze sorgfältig geplant
haben, denn in seiner Wohnung in Paris hatte er genügend Hinweise hinterlassen,
um uns alle in den Wahnsinn zu treiben.«
Lytton
stand vom Sessel auf und ging zum Sekretär, der sich in den schneebedeckten
Fenstern spiegelte. Dort blätterte er in den Papierstapeln, bis er fand,
wonach er suchte. Er las vornübergebeugt:
Einen Saal
sah sie, der Sonne fern,
in
Nastrand, die Türen sind nordwärts gekehrt. Gifttropfen fallen durch die
Fenster nieder; aus Schlangenrücken ist der Saal gewunden. Sie sah im
starrenden Strome waten Meuchelmörder und Meineidige.
Die
Erinnerung an die nahezu pechschwarze Seite einer Abendzeitung. Erik Halls
gepixelte Fotografie von hingekritzelten Kreidestrichen auf einer Felswand
tief unten in einem Bergwerksschacht.
»Niflheim«,
wiederholte Don.
Der alte
Mann wandte sich zu ihm um.
»Ja, ohne
Zweifel ist es merkwürdig. Man gräbt sich durch alle Literatur dieser Welt,
durch alle Mythen, aber vergisst seine eigenen. Niflheim, das Reich der Hei,
das Tor zur nordischen Hölle aus Kälte. Die Sache war folgende ...«
Lytton
blickte zur langen Fensterfront. Draußen tobte der Schneesturm, und die Winde
des Eismeers tosten und pfiffen um das Schiff herum.
»Die Sache
war folgende: Olaf hinterließ uns eine letzte Herausforderung. Er wusste, dass
wir seine Wohnung in Paris durchsuchen würden. Dort fand sich zwischen Stapeln
von Dokumenten und Kartenmaterial eine Art Testament, ein letztes Rätsel an den
eigenen Vater. Darin schrieb er, dass er dem Kreuz und dem Stern zwei
verschiedene Gräber gegeben hätte, damit sie auf ewig getrennt sein würden. Und
wenn ich vorhätte, nach diesen teuflischen Gegenständen zu suchen, könnte ich
an einem der zahlreichen Tore zur Hölle damit beginnen, wo sie bis zum Ende
aller Zeiten liegen würden.«
»Die
zahlreichen Tore zur Hölle«, murmelte Don. »Hat er eine Art Wegbeschreibung
beigefügt?«
»Hämischerweise
hat er das in der Tat getan, Senor Titelman. In der Wohnung fanden sich
Aufzeichnungen zu etruskischen Nekropolen, zur Mato-Grotte in Brasilien, Rama
in Indien, dem Eingang unter dem Berg Epomeo auf der Insel Ischia, einem
Brunnen in Benares, den Pyramiden von Gizeh, Cueva de los Tayos in Ecuador,
dem Höhlensystem unter dem Mount Shasta in Kalifornien ... Ja, er hinterließ
uns eine unendliche Anzahl von Alternativen, um einer Tunnelöffnung hinunter in
die Hölle nachzujagen. Aber kein einziges Wort über Niflheim, Falun oder einen
französischen Unterleutnant namens Camille Malraux. Und wir haben weiß Gott
gesucht, Senor Titelman. Wir haben gegraben, gesprengt und gebohrt, ohne
jemals das richtige Tor zu finden.«
»Der Stern
im Mund seines Geliebten in einem Grab auf dem Saint Charles de Potyze«, sagte
Don. »Das Kreuz in seiner eigenen Hand am Tor zur Hölle in einem
Bergwerksschacht außerhalb von Falun?«
»Er muss
auf literarische Quellen gestoßen sein, die den Abstieg hinunter nach Niflheim
genau an dieser Stelle lokalisiert haben. Olaf war sorgfältig.«
Don
schloss die Augen. Ging im Geiste die Zeilen der Zeitungsartikel durch; den
Abdruck des Pfriems, der von den Fingern des Toten stammte. Eine Frage musste
er noch stellen:
»Und aus
welchem Grund hat sich Olaf das Leben genommen?«
Lytton
schüttelte lediglich den Kopf, doch Eva sagte leise:
»Ich
glaube, er hat einen Ort gesucht, an dem er mit der Trauer über seinen
Geliebten allein sein konnte. Irgendwo weit entfernt von der Sonne, wo
geächtete Mörder wie er ohne jegliche Hoffnung in den Strömen des Todes
umherwaten.«
»Ja, wer
weiß, was dort unten geschehen ist«, merkte Lytton knapp an.
Don sank
zurück gegen die Lehne des Sofas:
»Und als
Sie von dem Fund im schwedischen Bergwerk erfuhren,
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