Wallentin, Jan
waren die Gewitterwolken vor dem
Fenster weitergezogen. Durch den Nebel hindurch erahnte er die Sonne, und der
Sturzregen hatte sich in einen dünnen Regenschleier verwandelt. Und dort am Tor
stand im Nieselregen ... eine Frau?
Sie trug
ein Regencape aus durchsichtigem Kunststoff, und unter ihrer Kapuze konnte er
ein halb abgewandtes Gesicht ausmachen. Durch die Zaunpfähle hindurch erkannte
Erik ihre schlanke Silhouette bis hinunter zu den hohen Stiefeln.
In der
Zeit, in der er seinen Blick wieder hinauf in ihr Gesicht wandern ließ, musste
sie den Kopf gedreht haben. Denn jetzt schaute sie ihn direkt an, und obwohl er
hinter der Gardine unmöglich zu sehen sein konnte, begegneten sich ihre Blicke.
Sie war sehr jung, und es kam ihm vor, als wartete sie, bis er fertig mit
Schauen war.
»Signor
Hall?«
Die Worte
wurden genau in dem Moment ausgesprochen, als Erik sich traute, die Tür der
Glasveranda zu öffnen. Er ließ seine nackten Füße in ein Paar Holzclogs gleiten
und machte einige Schritte hinaus auf die Treppe. Blickte durch die letzten
Regentropfen hindurch zu der Frau hinüber.
Sie winkte
ihm zu.
»Mi scusi,
puö uscire un attimo?«
Ihre
Stimme wirkte sehr zerbrechlich. Dennoch konnte er die Worte über den Garten
hinweg so deutlich hören, als stünde sie unmittelbar neben ihm und flüsterte
ihm ins Ohr.
Erik
schnalzte mit der Zunge, um seine Mundmuskulatur in Gang zu bringen, doch er
brachte kein Wort heraus und wusste auch nicht, was er sagen sollte. Verstand
nicht einmal, welche Sprache die Frau sprach.
Ein
erneutes Flüstern:
»Signor
Hall?«
Er griff
sich an den schmerzenden Punkt im Nacken und spürte deutlich, dass es wohl am
besten wäre, kehrt zu machen, die Tür zuzuschlagen und hinter sich
abzuschließen. Doch dann merkte er, wie sein Körper bereits dabei war, sich
zwischen den Pfützen hindurch auf dem Kiesweg vorwärts zu bewegen.
Sie winkte
immer noch und lächelte ihm zu. Hier draußen in dem mit Sonnenstrahlen
durchmischten Nieselregen verblassten die Bilder vom Kreuz und den
verschlungenen Reihen von Zeichen auf dem Notizpapier. Erik stellte erstaunt
fest, wie er zurücklächelte und sich seine eigene Hand zu einem Winken erhob.
Er dachte, dass sie ja nur ein Mädchen war ... ein junges Mädchen von nicht mal
zwanzig Jahren. Ein Teenager, der dort an seinem Tor stand. Jetzt waren es nur
noch ein paar Schritte.
»Scusi
per l'intrusione, Signor Hall.«
Die Frau
streckte eine Hand aus, sie war ziemlich klein, und als sie sich begrüßten, sah
Erik, wie ein Zipfel ihrer hellrosafarbenen Bluse unter ihrem Jackenärmel
hervorlugte. Jetzt musste er aber wirklich langsam auch mal etwas sagen:
»Speak
english?«
Sie nahm
die Kapuze ihres Regencapes ab und sah ihn mit stark geschminkten grünen Augen
an.
»Oh yes,
of course ...«, antwortete die Frau und lächelte auffordernd.
Ihr Haar
war kurz geschnitten, fast stoppelig. Er ließ seinen Blick zum Hals der Frau
hinuntergleiten, wo er den feinen Adern folgte und nahezu ihren langsamen Puls
erahnen konnte. Dann ließ ihn ihre Stimme wieder aufblicken:
»I am
terribly sorry for the intrusion, Signor Hall. Well
... my name is Elena Duomi ...«
»Elena
...?«
»Elena
Duomi. I work for the Italian magazine >La Rivista Italiana dei Misteri e
dell'Occulto<.«
Eriks Hand
erstarrte, als er gerade den Riegel anheben wollte, der die beiden Torhälften
zusammenhielt. Nach dieser Fotografin konnte er wirklich keine weiteren
Journalisten ertragen.
»Yes,
well, I really ...«, begann er, bevor ihn die Frau in ihrem leicht gebrochenen
Englisch unterbrach:
»Es war
eine ziemlich lange Fahrt hierher, und ich möchte fragen ... wäre es möglich,
kurz für ein Interview hereinzukommen? Und könnte ich das hier vielleicht
irgendwohin zum Trocknen aufhängen?«
Sie
schüttelte das durchnässte Regencape aus und lächelte erneut. Ein breiter
Mund, weiche Lippen, zwar ohne Lippenstift, aber immerhin.
»Well,
Signor Hall ... das wäre doch bestimmt möglich, oder?« Er schaute auf seine
Hand hinunter, die immer noch den Riegel festhielt.
»Woher
wissen Sie denn eigentlich, wo ich wohne?«, fragte er.
»Oh, die
Polizei hat mir geholfen. Wir haben schon in der vorherigen Ausgabe über
l'uomo sotto sale berichtet, aber das Interesse unser Leser ist dermaßen groß
...«
Sie machte
einen Schritt auf ihn zu:
»Wir
nennen ihn so, l'uomo sotto sale, den einbalsamierten Mann, den zauberhaft
erhaltenen Mann, den Sie dort unten im Bergwerk gefunden
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