Wallentin, Jan
heute
noch einen ziemlich gestellten Eindruck. Um letztlich jegliches Interesse an
den nordöstlichen Breitengraden zu zerstreuen, legte man Spuren in Richtung
Südwesten aus. Die Wahl fiel auf die Insel Vitön östlich von Svalbard, einen
abgeschiedenen Ort, den man in aller Ruhe präparieren konnte. Dort wurde das
letzte Lager errichtet, und schließlich deponierte man drei ziemlich übel
zugerichtete Leichen zusammen mit einer Reihe von Gegenständen, die man in der
Gondel gefunden hatte. Damit die Schweden feststellen konnten, welche der
Leichen wem zuzuordnen war, hatte man Strindbergs sowie Andrees Monogramm in
ihre Kleider genäht. Die Arbeit ging während der Sommermonate nach der
Jahrhundertwende vonstatten, doch erst dreißig Jahre, nachdem man die Spuren
gelegt hatte, fanden einige Walrossjäger aus Älesund durch Zufall den
ausgelegten Bootshaken mit der Aufschrift > Andrees Polarexp. 1897<.
Daraufhin arrangierte man mit den Leichen in einer Kortege einen Trauerzug
durch die Innenstadt von Stockholm. Und danach war die Sache aus der Welt.«
»Aber
Andrees Familie - und Nils Strindbergs Anna - sie müssen doch gesehen haben,
dass in den Särgen, die von Vitön kamen, völlig andere Personen lagen?«,
fragte Don.
»Nach
dreißig Jahren gab es nicht mehr viel zu sehen«, antwortete Eberlein.
»Außerdem wurden die sterblichen Überreste ohne Obduktion kremiert. Zu der Zeit
ein großer Skandal.«
»Und Anna
Charlier?«
Das war
Eva Strands Stimme.
»Die
gesamte Operation war ein einziger Größenwahn«, sagte Eberlein. »Was hätten sie
gemacht, wenn man die Leichen nie gefunden hätte? Es war ganz einfach unnötig.
Und was Anna Charlier betrifft ... Sie hat nie aufgehört, um Nils Strindberg zu
trauern. Fünfzig Jahre später wurde ihr Herz in einer Urne aus Silber in einer
Gedenkstätte auf dem Nordfriedhof an seiner Seite begraben. Dass ihr Herz dort
in aller Einsamkeit liegt, kam mir schon immer recht anstößig vor. Darf ich
...?«
Eberlein
begann die große Karte mit den Sphären wieder zusammenzufalten. Der Klebstoff
knisterte ein wenig, als sich der Bogen mit Nils Strindbergs Zeichnung der
Nordhalbkugel schloss.
»Nach der
Vertuschungsaktion auf Svalbard fuhren die deutschen Geschäftsleute mit ihren
Nachforschungen fort. Mit der Zeit ließ die Intensität natürlich etwas nach,
und die Stiftung wurde mehr und mehr zu einem Archiv, zum Verwalter eines
Geheimnisses, eines historischen Rätsels, das immer noch nach seiner Auflösung
sucht.«
Er legte
den zusammengefalteten Bogen in den Metallschrein, und man hörte ein zweifaches
Klicken, als sich die Splinte der Verriegelung schlossen. Dann war der Tisch
wieder leer.
»Heute
sind die ursprünglichen Gründe natürlich nicht mehr vorhanden, doch der Auftrag
der Stiftung besteht weiterhin, und der Vertrag, der damals mit Strindberg und
Andree aufgesetzt wurde, wird auch heute noch als gültig angesehen. Wie Sie
sicher verstehen werden, hat Erik Halls Fund große Erwartungen geschürt. Ich
glaube nicht, dass ich übertreibe, wenn ich sage, dass mein Auftraggeber in
Deutschland bereit ist, ziemlich weit zu gehen, um Klarheit in diese Sache zu
bringen.«
»Sie
wollen Strindbergs Navigationsinstrument zurückhaben«, sagte Don.
Eberlein
lächelte.
»Die
Stiftung möchte das zurückbekommen, was ihr gehört. Das, wofür man einmal
bezahlt hat.«
Die
gelblich grauen Augen hinter den entspiegelten Brillengläsern blitzten auf.
»Und Sie,
Don Titelman, bilden durch Zufall das letzte Verbindungsglied zu Erik Hall,
zum Kreuz, zu dem Dokument und den anderen Gegenständen, die er offenbar
gefunden hat ... vielleicht dem Stern?«
Don wand
sich auf seinem Stuhl, und er spürte, wie seine Hand im Innenfutter seines
Jacketts hinunter zur Postkarte wanderte.
»Sie
müssen doch selber ein Interesse daran haben, Klarheit zu erlangen«, befand
Eberlein. »Das Kreuz ist verschwunden der Ärger mit der Polizei. Möglicherweise
können wir Ihnen helfen? Wenn es eine Frage des Geldes ist ...«
Eberleins
Stimme trat in den Hintergrund, als Don sich vor seinem inneren Auge
vorstellte, wie sich die doppelten Türen öffneten, und er die Wendeltreppe
hinunterstieg, durch die hellerleuchteten Salons hindurch, an den Ölgemälden
und vergoldeten Spiegeln vorbei und durch die Tür der Villa nach draußen. Dann
öffnete er die Augen wieder:
»Jetzt, da
Sie es sagen, fällt mir ein, dass Erik Hall wohl doch etwas von einem Stern
erwähnt hat ...«
Don
heftete seinen
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