Wallentin, Jan
Ältere
wurde Jansen genannt, doch es war der Jüngere, der kann nicht umkehren, ohne
Anna, ich liebste süße Anna«
»Er
schreibt an seine Verlobte.« Evas gedämpfte Stimme.
»An Anna
Charlier«, nickte Eberlein. »Das ist der letzte Hinweis, den wir besitzen.«
Als Don
ebenfalls seinen Blick von den versprengten Zeilen hob, zog Eberlein das Papier
zu sich heran. Dann legte er es mit den überschriebenen Wetterangaben nach oben
wieder zurück, ganz hinten in das karierte Wachstuchheft, und schloss die
Deckel.
»Im
Hinblick auf Anna Charlier kann man sagen, dass der Ausgang der Geschichte
unnötig tragisch war. Darf ich ...?«
Eberlein
nahm das letzte Negativ aus Dons Hand und legte es zusammen mit dem Tagebuch
zurück in den Schrein. Dann fuhr er fort:
»Man fand
die Leichen von Fraenkel und Strindberg zwei Jahre später. Sie waren dreißig
Meter tief in eine Gletscherspalte gerutscht. Andrees Leiche hingegen fand man
nie, doch Strindbergs letzten Aufzeichnungen zufolge deutet alles darauf hin,
dass er ermordet worden ist. Die einzigen Dokumente der Expedition, die noch
existieren, sind Strindbergs Reisetagebuch und eine geringe Anzahl von
Fotografien. Sie haben nahezu alles gesehen, was zu sehen ist, und all das hat
Platz in einer Metallkiste.«
»Andree
...«, begann Don.
Seine
Zunge wollte sich nicht recht bewegen, aber es musste gesagt werden:
»Andrees
Leiche wurde im letzten Lager auf Vitön gefunden.«
»Vitön
...?«, fragte Eberlein.
»Ja,
Vitön«, bestätigte Don. »Andrees Leiche befand sich dort.«
Seine
krächzende Stimme war jetzt klarer geworden.
»Sie
müssen doch von dem Fund auf Vitön gehört haben. Das letzte Lager, in dem man
die Leichen und die Ausrüstung für die lange Wanderung übers Eis fand.
Einschließlich der Fotografien von Nils Strindberg, die man entwickelt hatte
und ...«
»Wie
gesagt«, unterbrach ihn Eberlein, »dieser Teil der Geschichte ist tragisch und
im Nachhinein betrachtet völlig unnötig.«
Er schaute
auf die Tischplatte und begann die restlichen Glasnegative einzusammeln. Mit
hinuntergebeugtem Kopf fuhr er fort:
»Die
Schweden wussten ja nicht, wo sie suchen sollten, doch die deutschen Financiers
kannten die Koordinaten ihres Ziels, und bereits im Sommer 1899 schickte die
Stiftung die Rettungsexpedition los, der es gelang, die Gondel neben den
Resten des Ballons aufzufinden. Im Inneren der Gondel lagen auf einigen Decken
die letzten Berechnungen, die Strindberg und Andree angestellt haben mussten,
bevor sie sich auf den Weg zur Position des Strahls machten. Man brauchte
ihnen nur zu folgen.«
»Und als
man ankam?«, fragte Don.
Eberlein
schaute auf.
»Kein
Loch, kein Kreuz, kein Stern. Kein Bunsenbrenner. Nils Strindberg und Knut
Fraenkel wurden wie gesagt tot aufgefunden, in einer dreißig Meter tiefen
Gletscherspalte. Fraenkel hatte einen Bauchschuss erlitten. In Strindbergs
Rucksack befanden sich noch die Kupferzylinder, die sein Wachstuchheft und
einige der Bilder enthielten, die ich Ihnen gezeigt habe. Fraenkels
meteorologische Aufzeichnungen hatte er in seinem Handschuh versteckt. Anhand
dieser Informationen wusste man damals bereits ungefähr ebenso viel von dem
Geschehen, wie wir heute wissen.«
Über das
Gewölbe der Bibliothek legte sich eine Stille, die nur von dem leisen Klirren
der Glasnegative unterbrochen wurde, die Eberlein zurück an ihren Platz in den
Metallschrein legte. Dann sagte die Rechtsanwältin:
»Sie haben
Strindbergs Verlobte Anna Charlier erwähnt?«
»Eine
reine Sicherheitsvorkehrung«, entgegnete Eberlein leise. »Eine
Sicherheitsvorkehrung, die absolut zu weit ging. Die Financiers hinter der
Stiftung gingen lange davon aus, dass es ihnen gelingen würde, diese
>Fremden<, die für den Tod der Männer verantwortlich waren, zu
überführen und das Kreuz und den Stern zurückzuerlangen. Man wollte nicht, dass
das Nobelunternehmen und die Schweden Nachfragen zum Schicksal der Expedition
stellten. Aufgrund der Bedingungen des Vertrags betrachtete man sich jetzt
außerdem als alleiniger Besitzer des Kreuzes und des Sterns sowie aller anderen
eventuellen Funde. Eine Anzahl von Dokumenten zu fälschen war kein Problem.
Andrees Handschrift kannte man, und auf diese Weise wurden seine beiden
Tagebücher von der Wanderung verfasst. Ebenso Strindbergs stenographische
Aufzeichnungen und Fraenkels meteorologische Blätter. Die fingierten Bilder
der Expedition waren wohl die am wenigsten gelungenen; sie vermitteln ja
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