Wallentin, Jan
man die Gondel gelandet hatte, begann
Andree, den Wasserstoff aus dem Ballon zu entleeren. Nils Strindberg nahm die
Kamera zur Hand, bürstete den Schnee von den mit Leder bezogenen Rotbucherahmen
und machte elf Bilder davon, wie der gewaltige Seidenstoff aufs Eis
hinuntersank. Am Morgen darauf montierten sie die Schlitten, woraufhin die
Wanderung auf den letzten Kilometern bis hin zum Ziel ihrer Reise begann.«
Don beugte
sich über das Tagebuch und blätterte behutsam die Seite um.
Auf der
Seite nach der letzten Markierung der Position folgte so etwas wie eine
Inventarliste über die Dinge, die man eingepackt hatte. Mehrere Gegenstände
waren von ihrer Menge her entweder reduziert oder ganz gestrichen worden. Sie
endete mit einer eingekreisten Notiz:
»6 Fl.
Champagner, Geschenk des Königs«
Als er
weiterblättern wollte, merkte Don, dass das Blatt mit der Liste erstaunlich
lose auf dem gehefteten Buchdeckel lag. Dann löste es sich ganz, so dass er den
Eindruck bekam, die letzten Seiten wären vollständig herausgerissen. Nur ein
einziges Blatt lag noch da, zusammengefaltet auf dem hinteren Buchdeckel. Er
schaute zu Eberlein, der bereits auf seine Entdeckung gewartet zu haben
schien: »Das ist doch merkwürdig, oder?«, fragte Eberlein. »Von hundertzwanzig
gehefteten Seiten fehlten die letzten dreizehn bereits, als das Tagebuch Ende
des Jahres 1899 aufgefunden wurde.«
Der
Deutsche schob ein weiteres Negativ aus Glas über den Tisch. Es schien das
Letzte zu sein.
»Der
Stiftung ist es lediglich gelungen, ein einziges Bild der letzten Filmrolle zu
entwickeln. Es wurde bei Nils Strindbergs Leiche gefunden, aufbewahrt in einem
Kupferzylinder in der Tasche seiner Filzjacke.«
In dem
Glasplättchen, das Eberlein vor Eva und Don platziert hatte, war ein schwarz
gesprenkeltes Negativ zu erkennen. Ein farblich umgekehrtes Bild von etwas, das
wie Schneeregen mit schwarzen Flocken aussah. Hinter dem Schnee leuchtete ein
weißes Loch in dem dunklen Eis.
»Sind sie
an ein Eisloch gekommen?«, fragte Don.
»Kein
Loch«, sagte Eberlein. »Schauen Sie sich die Kanten an.«
Don hob
das Negativ noch einmal an. Auf dem Bild war das Loch wie ein perfekter Kreis
geformt. Als er es mit der Gestalt verglich, die mit einem Fernglas neben
einer kleinen Flagge an der Öffnung stand, schloss er, dass der Trichter im
Eis offenbar sehr groß war, bestimmt fünfzig Meter im Durchmesser.
»Es muss
Strindberg gewesen sein, der fotografiert hat«, sagte Eberlein, »denn er war
der Einzige, der die Kamera bedienen konnte. Aber wir haben nicht herausfinden
können, ob es Fraenkel oder Andree ist, der da steht und hinunterschaut.«
Don
versuchte sich die Farben des Negativs umgekehrt vorzustellen, um einen
Eindruck davon zu gewinnen, wie es an diesem Tag im Juli 1 897
ausgesehen haben muss. Ganz hinten ein kreisförmiger schwarzer Abgrund im
weißen Eis und unmittelbar an der Kante die Silhouette der Gestalt mit einem
Fernglas. Es war, als hätte jemand mittels einer Schweiß flamme einen Tunnel
direkt ins Erdinnere gebohrt.
Eberlein
deutete auf die Markierungen an der Unterkante des Bildes.
»Zweiundachtzig
Grad und fünfundfünfzig Minuten Nord, am Morgen des 16. Juli 1897. Sie befinden
sich exakt an der Position, auf die der Strahl gewiesen hatte. Es hat demnach
einen Tag und eine Nacht gedauert, um dorthin zu gelangen, nachdem sie den
Ballon verlassen hatten.«
Don legte
das Negativ beiseite und nahm den letzten zusammengefalteten Bogen aus dem
Wachstuchheft. Er schaute zu Eberlein, der nickte. Dann entfaltete er das
Blatt vor sich und strich es glatt. Auf dieser Seite befanden sich eine Reihe
von Spalten mit aufgelisteten Zahlen: kaum erkennbare Datumsangaben, Niederschlagsmengen,
Luftdruck und Windstärke.
»Die
Angaben stammen aus Fraenkels meteorologischem Kalender«, erklärte Eberlein.
Dann
drehte der Deutsche den Bogen um. Auf der Rückseite waren mit verwaschener
Tinte einzelne hingekleckste Worte über die Tabellen geschrieben,
zusammenhanglos und unregelmäßig hingekritzelt:
»Alles
verloren!!!
norw
Fremde waren bereits Öffnung
Andree und
den Brenner
Hinrichtung!
Knut blutet
Bauch! Morphin, sechs Einheiten
Ich selber
habe seit dem Morgen Schutz
gesucht in Stimmen über mir
das Tor
nach unten offen! Und sie wissen es! das Kreuz? Und der Stern!
hinuntergezogen
ins
Gewölbe, die Wände
uns bis
hierher verfolgt? was ist Adler geworden?
der
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