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Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)

Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)

Titel: Wallner beginnt zu fliegen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas von Steinaecker
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Großeltern geerbt hat und das jetzt oben im Wohnzimmer steht. Durch die Schwarzweißfotos in beiden Alben kann sich Wallner die Mama als 17jährige Schülerin vorstellen, als 23jährige Braut, 35jährige Mutter und als 38jährige Schilddrüsenkrebspatientin. Er kennt die Fotos auswendig, er muß das dunkelblaue Album jetzt nicht noch einmal aufschlagen, er weiß, daß am Ende das Porträt der ungefähr 30jährigen Else Wallner (mit geschlossenem Mund lächelnd, sie trägt eine Perlenkette, sie hat sehr volles schwarzes Haar) eingeklebt ist, das sich sowohl auf dem Schreibtisch seines Vaters in Bergisch-Gladbach befunden hat als auch auf seinem eigenen Schreibtisch, oben im Büro, steht.
    Er sagt: „Das ist jetzt das“ und holt zwei Ordner aus dem Umzugskarton, die die mit einer Schablone aufgemalten Aufschriften Fälle und Rechnungen tragen. Der Fälle-Ordner ist durch farbige Einlagen unterteilt. Die Abfolge der Seiten innerhalb jeder farbigen Einlage ist, soweit Wallner das erkennen kann, stets dieselbe. Auf der ersten Seite wird ein Fall beschrieben, Wallner liest von einem X, männlich, der mit Y, männlich, einen Vertrag abschließt und diesen vorzeitig auflösen will, auf der zweiten Seite steht eine Frage zu dem Fall, „Ist die vorzeitige Auflösung des Vertragsverhältnisses möglich?“, die folgenden Seiten enthalten eine Bearbeitung der Frage, „Nein“.
    Wallner sieht seinen Vater, seit dessen Pensionierung Tutor für Jura-Studenten, in seiner Wohnung in Bergisch-Gladbach auf dem Sofa sitzen, das momentan noch im Partykeller lagert, neben ihm auf dem zum Sperrmüll gegebenen Sessel ein Jura-Student mit Brille und blond gefärbtem Haar. Wallners Vater und der Jura-Student haben sich über das rote BGB , das Stefan Wallner in Bergisch-Gladbach in einen der blauen Säcke gesteckt hat, auf dem ebenfalls ausrangierten Wohnzimmertischchen gebeugt. Wallners Vater erklärt dem Jura-Studenten einen Fall und bezieht sich auf die Zeit, als er selber Anwalt war.
    Nein.
    Wallner sieht seinen Vater allein im Wohnzimmer in Bergisch-Gladbach auf dem Sofa, vor sich auf dem Tisch den roten Schönfelder . Sein Vater verbringt seit seiner Pensionierung einen Teil seiner Zeit damit, sich Fälle auszudenken und diese dann selber zu lösen, zum Spaß. Es gab keinen Jura-Studenten mit Brille und blond gefärbtem Haar, dem sein Vater Nachhilfe erteilte. Die Telefonrechnungen vom Dezember des vorletzten und Januar des letzten Jahres im Rechnungen-Ordner, deren abgeheftete Seiten Wallner einmal vom Anfang bis zum Ende an seinem Daumen entlangblättern läßt, sind in bezug auf die Anzahl der Verbindungen und die daraus entstandenen Kosten nahezu gleich.
    Nebenan ist es still geworden. Er sieht Costin vor sich, verschwitzt, mit weißem Stirnband, der die Kamera ausschaltet und zur Tür geht. Wallner holt aus dem Karton das Radio mit Kassettenrekorder und dreht den Schlüssel so leise wie möglich im Türschloß um. Er tritt aus der Tür, wartet ein bißchen, dann tritt auch Costin, verschwitzt, mit weißem Stirnband, aus der Tür des Partykellers nebenan.
    Costin sagt: „Hechel. Bin ich platt. Fürs Büro?“ und deutet auf das Radio in Wallners Hand.
    Wallner sagt: „Für Ana.“
    Als Wallner in die Küche tritt, steht Ana gerade vornübergebeugt am geöffneten Ofen. Es riecht nach Kuchen. Wallner stellt das Radio auf die Ablage neben dem Herd. „Schau mal. Kannst du das brauchen?“
    Ana sieht kurz auf.
    Wallner fragt: „Was machst du gerade?“
    Ana sagt: „Ich backe.“
    Wallner hat das Radio eingesteckt. Der Sender, der eingestellt ist, spielt einen Popsong, der letzten Sommer ein Hit war.
    18
    Sein rechter Schnürsenkel ist aufgegangen. Wallner geht vor der Tür von Wigets Büro in die Hocke und legt den Aktenordner auf den Boden. Hinter der Tür unterhält sich jemand, wenn sich Wallner nicht täuscht, flüsternd. Als Wallner sich wieder erhebt, hört er deutlich, wie die Worte „Wallner“, „Entmündigungsverfahren“ und „Dr. Kaduk“ fallen.
    Wiget hat „Dr. Kaduk“ gesagt.
    Er weiß von Wallners Arztbesuch.
    Frau Beck zischt: „Aber der hat das doch unterschrieben. Das muß Herr Wallner ja nicht erfahren.“
    Wallner klopft kurz und tritt ein. Frau Beck trägt ein hellrotes Sommerkleid mit Sonnenblumen. Wallner bemerkt, daß sein Herz wie wild schlägt, schon die ganze Zeit über. Frau Beck sagt zu Wiget, normal laut: „Und dann sage ich zu meinem Mann, entweder wir fahren jetzt nach Madrid oder . .

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