Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)
billiges Blumenbild über dem Bett, sondern ein Chagall-Druck. Auch die Möbel, Bett, Nachttisch, Schreibtisch, aus so massivem, dunkelbraunem Holz. Und das Bad: wie gerade frisch installiert und nicht so ein Ekel-DDR-Look wie in der Paula .
Costin hechelt mehrmals, damit der heiße Käse auf dem Stück der Pizza Hawaii, von der er abgebissen hat, abkühlt. Als plötzlich das Streicher-Tremolo eingesetzt hat, hat er wieder zum Fernseher gegenüber vom Bettende geschaut.
Close-up Pedro.
Pedro: „Morgen kommt Sandro aus dem Knast raus.“
Close-up Elvira.
Elvira: „Nein.“ (Pause) „Nein! Nein!“
Pedro (Elvira in den Arm nehmend): „Laß uns abhauen, Schatz! Laß uns einfach weggehen von hier.“
Diese Streicherlinie hat verdammt nach diesem Sommerhit von vor Ewigkeiten geklungen, der mit der Welle von den Helden , nein, Julimond . Costin hat etwas Heißes auf seinem rechten Fuß gefühlt und ist mit einem Ruck vom Schneidersitz in die Hocke gegangen. Das Stück Schinken, das von der Pizza in seiner Hand heruntergefallen ist, liegt auf seinem rechten großen Zeh. Er steckt es in den Mund. An der Stelle, wo es auf dem Laken gelegen hat, ist ein kleiner kackfarbener Fleck.
06
Melanie sagt: „Ihr steht um 4:30 Uhr auf. Ihr habt 30 Minuten um aufzustehen, zu frühstücken und so weiter und so fort. Um 5:00 Uhr kommt das Taxi. Der Flug ist um 6:10 Uhr. Ich habe eure Tickets. Ich muß euch nicht sagen, daß jeder für sein Gepäck selbst verantwortlich ist. Von 9:30 Uhr bis 10:00 Uhr habt ihr ein Interview mit Q . Um 10:30 Uhr habt ihr einen Live-Gig bei M 93, 3. Um 12:00 Uhr habt ihr einen Live-Gig im Saturn . Um 13:00 Uhr eßt ihr bei McDonalds . Die Popcorn wird da sein. Ihr werdet fotografiert. Um 15:00 Uhr habt ihr eine Autogrammstunde auf der Messe bis 16:00 Uhr. Um 16:30 Uhr dreht ihr den Spot für Nike . Um 19:30 Uhr habt ihr frei. Ihr duscht, eßt, macht euch die Maske sel -ber und so weiter und so fort. Euer Auftritt in der Show ist um 21:15 Uhr. Di -rekt im Anschluß unterhaltet ihr euch noch mit Karl. Er wird euch zu eurem neuen Album fragen, zur Vorbereitung für die Tour, vielleicht wird er auch die Gerüchte über Seema ansprechen. Ihr kennt ja Karl. Es muß aber keiner Angst haben. Ich muß euch ja wohl nicht sagen, was ihr ihm sagt.“
07
Er merkt, daß sein Herz jetzt bereits nicht mehr so rast wie noch gerade eben, und fragt sich für einen Moment, wie schon früher auch einmal, warum eigentlich aus manchen Handys so ein künstlicher Polaroid-Kamera-Klick-Sound kommt, wenn man ein Foto macht. Er schaut auf das Display des Handys, mit dem er vorhin, als er spürte, daß er gleich eine Attacke bekommen würde, schnell ein Foto von sich gemacht hat – die mittlerweile klassische Foto-Panik-Präventiv-Aktion, die Klein-Costin nach jahrelanger Übung aus dem Effeff beherrscht: Hand mit Handy hoch, übers Gesicht halten, in Linse gucken, klick , und fertig. Wobei er nicht sagen könnte, ob sie, die Attacke, gekommen war, weil er darauf geachtet hatte, auf die Attacke, oder umgekehrt: erst Attacke, dann darauf geachtet. Auf dem Bild des Displays hat er einen starren Blick, sein Mund ist ein ganz klein wenig geöffnet. Er ist bleich und könnte mal wieder eine Rasur gebrauchen. Seine schwarzen Locken sehen fettig aus und kräuseln sich auf dem beigen Kissen, auf dem er jetzt liegt.
08
Constanze steht an der Kommode, mit der einen Hand hält sie sich daran fest, die andere Hand hält sie sich vor den Mund. Sie weint. Elvira ist ins Zimmer gekommen, sie bleibt kurz stehen, als sie Constanze so sieht, dann geht sie auf sie zu und legt ihr von hinten den Arm um die Schulter. Constanze (schluchzend): „Laß uns das irgendwie hinter uns bringen. Daß wir da neu anfangen.“
Elvira (zögernd): „Es tut mir . . .“
Constanze (sie unterbrechend, plötzlich gefaßt): „Ich weiß schon. Ich weiß doch. Ich habe Sachen falsch gemacht, und du hast Sachen falsch gemacht. Vielleicht können wir das jetzt zu so einem Wendepunkt machen. Laß uns einfach versuchen zu vergessen, was da passiert ist.“
Constanze dreht sich um und nimmt Elviras Hand. Zoom auf die ineinandergelegten Hände.
Er hat wieder diese krassen Augenschmerzen bekommen, die er schon seit ein paar Tagen, mindestens aber seit gestern hat, und vom Fernseher weg auf den Van-Gogh-Druck daneben geschaut, die Sonnenblumen mit dem Aufdruck Van Goghs Sonnenblumen , über dem weiß lackierten Schreibtisch, dessen Beine schon ziemlich
Weitere Kostenlose Bücher