Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)
Aylin.“
Costin (stumm, schaut auf den Boden)
Die Stimme: „Costin?“
Costin (schaut in die Kamera): „Also, das ist so. Ihr müßt wissen, wenn ich draußen bin, in drei Wochen, dann wird das sicher nicht so einfach sein, erst mal, nach den neun Monaten hier. Aber es wird einen Menschen geben, der mir sehr nahe sein wird und der mir jetzt auch nahe ist, obwohl sie nicht da ist. Mann, ich weiß nicht, ob ihr das so verstehen könnt, was hier so passiert ist. Aber das wird erst mal da drin bleiben.“ (aufs Herz deuten)
37
Aylin liegt auf dem Bauch am Rand einer Schlucht, streckt ihre Hand nach dem Hansel aus, der sich gerade noch so, etwas unter ihr, an einem Vorsprung aus Ästen und Gestein festhält, nie und nimmer könnte sich da jemand in der Wirklichkeit festhalten, so windig sieht das aus.
Aylin schreit: „Halt dich hier fest!! Ich zieh dich hoch!!“
Der Hansel keucht.
Aylin trägt eine Polizeiuniform, schwarze Lederjacke, olivgrüne Hosen, schwarzer Pferdeschwanz, und Costin auf der Couch in seinem Moabiter Apartment, in dem sich die Kartons für den Umzug nach Australien stapeln, denkt, daß wie viele Monate, Wochen, Tage? vergehen mußten, bis er hier und jetzt Aylin so, in einer Polizeiuniform, wiedersieht. Als er erwartungsgemäß vor Frieder rausgevotet und von einem Hubschrauber direkt ins Studio ins Tal geflogen worden war, hatte da auf dem grünen (warum eigentlich grünen ?) Teppich auf dem Landeplatz, sozusagen als Begrüßungskomitee, Aylin merkwürdigerweise immer noch im Almkittel gestanden – mit einer gelben (warum zum Geier gelben ?) Rose in der Hand. Er und Aylin hatten sich zur Begrüßung geküßt, hatten dann im Studio auf dem Sofa nebeneinandergesessen, hatten Fragen über die vergangenen Monate über sich ergehen lassen, und plötzlich, ja, plötzlich hatte es geheißen, die Aylin spiele ja jetzt in so einer TV-Serie, die im Herbst im Zweiten zu sehen sei, deshalb müsse die Aylin auch leider gleich weiter zu Dreharbeiten, nach Köln. Aylin Küßchen, und ab. Natürlich ohne irgendeine Nummer von sich zu hinterlassen, wäre ja auch schlecht während der Sendung gegangen (du, Aylin, kannst du mir mal deine Nummer geben, damit wir das, was da auf der Alm war, ein bisserl vertiefen können? Zwinkerzwinker). Und dann: nüschts. Hätte Madame Aylin Kontakt gewünscht, hätte sie ja ohne weiteres Costins Adresse bei der Produktionsfirma erfragen können oder bei MA zum Beispiel, man kennt Costin ja, er ist doch bekannt.
So aber (siehe: nüschts) hieß das eben auch, daß mit Aylin nicht nur in Zukunft nichts gehen würde, sondern daß auch das Ding da auf dem Dachboden auf der Alm lediglich Teil einer individuellen Aylin-Show gewesen war. Eine Einsicht, die der Presse vielleicht auch mal gutgetan hätte. „Aylin: schwanger?“, „Costin: Bin wieder mit Seema zusammen“, „Aylin und Costin: Ihre heiße Nacht im Hilton“, „Costin: Bin zu fett“ et cetera, so war es einige Wochen in kleinen Artikeln in Boulevardblättern gegangen, woraufhin Costin beschlossen hatte, erst mal alle Talk-Show-Auftritte abzusagen und für einige Zeit abzuhauen, weg, keine Ahnung, wohin, coole Doku über die australische East Coast gesehen, eine Woche später noch ’ne Reportage gelesen, OK: australische East Coast it is. Und jetzt das: Aylin als Politesse.
Der Hansel hat Aylins ausgestreckten rechten Arm gepackt, sucht mit den Füßen Halt, Steine bröckeln.
Costin hat zu seiner eigenen Überraschung „Die! Die! Die!“ geflüstert.
Großaufnahme Aylins Gesicht: verzerrt, leicht gerötet, zugekniffene Augen, unterdrücktes Stöhnen.
Aylin: „Ich zieh dich hoch! Lindemann! Halt dich fest! Bloß nicht loslassen! Halt durch, Lindemann! Das ist ein Befehl!“
38
Costin dreht sich einmal um sich selbst. Gaaanz langsam. Die Beine über dem Kopf, Querlage, dann wieder gerade, er öffnet die Augen. Alle Fische sind bunt. Knallgelb, grün, rot. Mit Streifen. Mit Punkten. Harvey deutet mit dem rechten Zeigefinger nach oben. Ein Schlag mit der Flosse bringt einen schon so weit. Ein Schwarm winziger weißorange gestreifter Fische bewegt sich alle paar Sekunden ruckartig in eine neue Richtung, rechts, links, noch mal links. Von unten ist das Motorboot ein großer schwarzer Fleck. Als Costin, den Kopf noch unter Wasser, mit beiden Händen eine Seite des Boots faßt, the rail, keine Ahnung, was das auf deutsch wäre, Griff?, fällt es ihm wie immer schwer, sich hochzuziehen, die Beine aus dem Wasser
Weitere Kostenlose Bücher