Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)
Costins erstem Besuch hatte Therese vorgeschlagen, er und Wendy sollten doch zusammen einen Spaziergang machen, was wohl in die Kategorie „Gut gemeint, aber trotzdem Scheiße“ fiel. Denn als Wendy durchblicken ließ, daß sie absolut keinen Bock habe, hatte ihr Therese einen bösen Blick zugeworfen. Folge: Wendy, dieses wie auch die nächsten Male, superschlecht gelaunt. Costin hatte sein Smalltalk-Programm gestartet („Und? Was macht ihr so in der Schule gerade?“ oder: „Und? Was machst du in den Sommerferien?“ und so weiter), aber dann gemerkt, daß er hier nur verlieren konnte. Wendy hatte gerade mal mit „Weiß nicht“ geantwortet oder irgendwas gemurmelt; ansonsten hatte sie, die Hände in den Taschen ihres rosa Mantels, auf den Weg, den „Gatsch“ gestarrt. In der Stille waren Costin die Geräusche, das Rauschen der Salzach, das Rascheln der Büsche, die Glocken in der Ferne und jedes Grüß Gott von entgegenkommenden Spaziergängern besonders laut erschienen und hatten ihn zu dem Schluß kommen lassen, daß das Ganze hier, Vater und Tochter spielen – obwohl sie es ja faktisch sind –, eigentlich superpeinlich war. Keine Ahnung, wie das gehen sollte, Help! ( Beatles )
Bei diesem Zustand war es glücklicherweise nicht geblieben. Therese hatte gesagt, Costin könne Wendy ruhig auch ein bißchen zu was drängen, er müsse keine Angst haben, Albert habe ihr immer alles durchgehen lassen, sie sei die verwöhnte Prinzessin; wenn Costin jetzt so werden wolle wie Albert, sei das definitiv der falsche Weg. Einfach so sein und sagen, wie und was du willst, würde ich sagen, hatte Therese gesagt.
In Zukunft hatte also Costin vor der Jause zu Wendy gesagt: „Gehen wir?“, und Wendy war wohl oder übel mitgetrottet. Auf Costins Fragen, die noch immer größtenteils aus dem Abspulen des Smalltalk-Programms bestanden, hatte Wendy jetzt schon ein bißchen mehr geantwortet, immer extrem schnell, kurz angebunden, von Costin abgewandt, so daß sich Costin gedacht hatte, Mädel, wäre ich mit allen Befugnissen eines Big Daddys ausgestattet, ich würde dir erst mal Benehmen gegenüber sogenannten Respektspersonen beziehungsweise solchen, die es noch werden wollen, beibringen – aber immerhin: Wendy sprach. Trotzdem war er sich dann, sobald sie vom Spaziergang nach Hause kamen, er noch seine Schuhe im Flur auszog und Wendy plötzlich mit Therese drüben in der Küche drauflos redete, wie der letzte Depp vorgekommen. In diesen Momenten wäre er gerne einmal kurz Therese gewesen, um Wendys freudestrahlendes Gesicht zu sehen und sie statt, entfernt, aus der Küche, direkt vor sich plappern zu hören.
Ihr freudestrahlendes Gesicht (Wendy hat ja wirklich dieses fast schon radioaktiv zu nennende Strahlen: Augen zu, Grinsekatzezähne zeigen) sieht er genau in diesem Moment, hier auf dem, er weiß nicht wievielten Spaziergang an der Salzach, endlich vor sich – außerdem plappert Wendy total unbekümmert drauflos. Konkreter Grund: Wendy will nach Oxford. So für ein Jahr. Studieren. Therese hat Costin gesagt, daß das seine Chance sei. Therese wird so tun, als sei sie dagegen, obwohl sie in Wirklichkeit dafür ist. Costin kann Wendys Partei ergreifen und ihr in Diskussionen mit Therese zeigen, wie sehr er sich für seine Tochter einsetzt. Bei Costins letztem Besuch haben er und Therese gestritten. Wendy ist dabeigewesen. Costin hat die Argumente für Wendys Jahr in Oxford aufgezählt, die sie, Therese, ihm, als sie allein waren, aufgezählt hatte.
Wendy, in ihrem schwarzen Vintage-1970er-Parka – das Mädel hat einen Vintage-Fimmel, alle ihre Klamotten sind entweder Original 20. Jahrhundert oder auf alt gemacht –, hat sich jetzt bei Costin eingehängt, sie stützt ihn und hilft ihm über die Pfützen, die sich nach dem Frühlingsgewitter am Vormittag auf dem Feldweg gebildet haben. Früher hatte ihm Wendy null geholfen, hatte sogar mit den Händen in den Hosentaschen daneben gestanden und untätig zugesehen, wie Costin einen auf Opa gemacht hatte und bei den kleinen Steigungen des Wegs oder bei den Stiegen im Haus extra auffallend langsamer wurde, schwankte, stöhnte (leise).
Und Wendy labert. Sie habe neulich Sydney Story im Kino gesehen, das sei ein ganz toller Film, Costin habe wahrscheinlich davon gehört, „Ja“, sagt Costin (hat er aber in Wirklichkeit nicht), alternder Schauspieler verliebt sich in junges gelangweiltes Mädchen, beide aus Berlin, et cetera, sie und Esther wollen jetzt unbedingt auch mal
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