Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
leichter Wind ihr aufgelöstes Haar. Minute auf Minute verstrich, noch war Isaaks Schritt nicht zu vernehmen. Immer einsamer ward es um die Einsame, immer dunkler. Da – hörte sie nicht Klopfen? An die Türe klopfte eine leise Hand. Nein! Das Schloß ward geöffnet. War es der Schändliche? Wähnte er sie schlafend und wollte er jetzt an sein Verbrechen gehen? Sie hielt mit der zitternden Hand ihr hochaufschlagendes Herz – langsam vergrößerte sich jetzt die Türspalte – sie wagte nicht hinzusehen. Doch das waren keine Männerschritte. Eine weiche Hand legte sich auf ihre Schulter; wollte er sie umfassen? Sie zückte den Dolch, bereit zum tödlichen Stoß.
»Herrin,« lispelte es neben ihr, »gute Herrin, hört mich an.«
Die Gequälte sah empor, sie sah in das schwarze Gesicht ihrer Hadsa.
»Kommt er jetzt?« wimmerte sie.
»Hört mich, Gebieterin,« entgegnete die andere, »ich habe einen Weg gefunden, Euch zu retten – vielleicht für immer zu retten.«
»Wie? Zu retten? O du gute, treue Seele, rede! – Doch du täuschest dich gewiß selbst; mein Gott hat mich verlassen, ich kann gerettet werden – ja! aber nur durch den Tod.«
»Nein, gute Herrin, verliert den Mut nicht, Ihr habt noch treue Helfer,« ermahnte die Dienerin, »Ihr wißt, daß ich die Schließerin Eures Gemaches bin. Nun denn, ich habe beschlossen, Euch trotz allen Strafen, die mir drohen könnten, aus dem Zimmer entfliehen zu lassen; auch habe ich ausgespäht, wie die Türe des Hauses geöffnet werden kann. Wenn Ihr es wünscht, fliehe ich mit Euch.«
Bei dem Gedanken an Flucht erhellten sich die Züge Myrrahs.
»Aber hast du die Wachen vergessen, die das Haus umgeben,« sagte sie, »dein Plan wird unausführbar sein, denn wie gelangen wir durch die Wachen?«
Nun setzte Hadsa mit fliegender Hast ihrer Herrin folgenden abenteuerlichen Plan auseinander. Die Sklavin Petafa war gestern gestorben; sie hatte sich, wie man annahm, aus unglücklicher Liebe ertränkt und lag nun in einem hinter dem Haus gelegenen Stalle auf der Bahre, von wo aus sie noch in dieser Nacht nach Memphis zum Mumienverfertiger gebracht werden solle, um daselbst einbalsamiert zu werden.
Nun ging der Rat Hadsas darauf hinaus: Myrrah solle sich statt der Leiche der armen Petafa auf die Bahre legen; die Träger würden auf diese Weise unbewußt die Lebendige aus den Mauern ihres Gefängnisses tragen, denn selbst, wenn es ihnen einfallen sollte, das Tuch, mit welchem man die Leiche bedeckt, zu heben, wäre anzunehmen, daß sie in der Dunkelheit der Nacht ihren Irrtum schwerlich bemerkten. Als Hadsa geendet, erwartete sie, Myrrah würde sich sträuben, sich in ein solch gefährliches, ja schauriges Wagnis einzulassen, doch was war dieser Unglücklichen in diesem Augenblick Gefahr, Schrecken? Sie kannte nur die eine Gefahr, mit der betrachtet alle übrigen geringfügig erschienen, von Isaak überrascht zu werden. Nur fort von hier, rief es in ihrem Inneren, einerlei, auf welche Art, und so gab sie sogleich ihre Zustimmung zu diesem seltsamen Rettungsmittel, ja, sie fiel sogar der treuen Schwarzen um den Hals, ihr reiche Belohnung versprechend. Nun schlichen beide auf den Zehen durch die stillen Gänge des Hauses. Hadsa schob behutsam den Riegel von der Haustüre, lauschte, ob niemand ihre Schritte beachtete, zündete rasch eine kleine Laterne an und führte dann die entschlossene Jungfrau in den über dem Hofe gelegenen Stall. Sie traten zögernd ein. Der Raum war nicht groß. Dort hing ein ungestaltetes Stück nassen Segeltuches über einer Bahre, unter dessen harten tropfenden Falten ein menschliches Haupt wie im Spott verzogen hervorgrinste. Myrrah schauderte trotz aller ihrer Festigkeit zurück, als sie das triefende Haar der Unglücklichen erfaßte und als sie ihr, wie sie das Tuch zurückstreifte, in das gläserne Auge sah, von dem nur noch das Weiße leer in die Luft starrte. Aber sie faßte sich ein Herz. Es mußte sein. Mit Hilfe Hadsas gelang es, die Leiche von der Bahre zu heben und sie in einer alten Truhe, die im rechten Winkel des Stalles stand, zu verbergen. Bis hierher hatte der Mut Myrrahs standgehalten, nun aber, als sie sich auf die Bahre legen sollte, auf der die Tote ihren kalten Hauch zurückgelassen, befiel sie ein heftiges Frieren; sie bebte zurück.
»Ich kann nicht,« jammerte sie, »das Tuch ist so naß und riecht so übel. O gute Hadsa, was soll ich beginnen?«
Hadsa legte sich auf die Bahre, zog, ohne ein Wort zu erwidern, das Tuch
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