Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
Kraft verleihen, den Boden des Käfigs zerstampfen zu können, doch wenn er sich umsonst abgemüht, sank er ermattet nieder, gleichgültig und stumpf auf die eisernen Platten starrend, die mit so unbarmherziger Festigkeit vor ihm aufragten.
Oh! wenn sie es doch wüßten, seine Freunde, welche Schändlichkeit man an ihm verübt! Warum wußten sie es nicht? Er begriff es nicht, daß sie es nicht wissen konnten, es war ihm, als müßten sie es längst erfahren haben, als hielte nur Teilnahmlosigkeit sie ab, ihm beizustehen. Die Trostlosigkeit malte ihm, was er dachte, in verrenkten, übernatürlichen Gestalten. Jede, auch die kleinste Empfindung, schwoll ihm zum Ungeheuerlichen an; die Gedanken überstürzten sich in seinem Hirn, wie ein Rudel losgelassener Hunde zerfleischten sie ihn und fraßen an seiner Seele. War er denn wirklich gefangen? Unmöglich! Er träumte bloß. Er rieb sich die Augen und starrte seine Hände an, er machte ein paar Schritte in dem engen Raum, warf sich in eine Ecke und hielt sich den Kopf mit beiden Händen zwischen den Knien fest, denn es war ihm, als müsse sein kreisender Schädel aus den Fugen brechen. Da reckte sich der Wahnsinn vor ihm auf, wie ein gigantisches, blutrotes, verzerrt lächelndes Gespenst! Er drückte die Augen zu –: »Fort! fort! ihr Bilder! was wollt ihr!« – Es war so still! Er tat einen Schrei, der lange in dem Metall des Kastens nachzitterte. Umsonst! Die fieberhafte Beengung legte sich bleiern auf seine Stirne, der Atem floh pfeifend aus seiner gequälten Brust; er fühlte, wie seine Augen zu bluten und sich aus den Lidern zu drängen begannen. Endlich zwang er sich zur Ruhe. Du mußt! was nützt diese Aufregung! Fasse dich, halte dir das Herz im zerspringenden Busen fest. Ringe wie ein Zwerg mit dem Riesen Wahnsinn – er muß unterliegen. Er verfiel auf den Gedanken, Stellen aus der Heiligen Schrift herzusagen, und dies Deklamieren ehrwürdiger Sprüche, tiefer Weisheit besänftigte ihn ein wenig. Myrrahs Bild stieg vor seiner Seele empor. Einen Augenblick hindurch vergaß er völlig, wo er sich befand; sein Herz schwoll auf; eine süße Wehmutstrunkenheit durchzog ihn; er konnte weinen. Diese Tränen! o welches Labsal sie für ihn waren, sie flößten ihm eine erhabene Ruhe ein, und sein trauriger Kerker erschien ihm wie sein Grab, in das man ihn gelegt, um ihn ausschlafen und träumen zu lassen. Allmählich ging diese ergebene Ruhe in Schlaf über, den zwar wilde Träume zu einem höchst unerquicklichen machten, der aber immerhin Schlaf war, süße Täuschung, ein Betrug, den der gepeinigte Geist sich selbst schafft. Ja, aber diese Träume! Er fühlte im Schlafe, daß er träumte. Stiehlt sich das tückische Schicksal sogar in unseren Schlaf, um uns zu martern? Mit einem Stöhnen erwachte er. Nun erst, denn es war Tag geworden, bemerkte er deutlicher wie gestern die Luft- und Lichtlöcher, die der Käfig rings an der Wand trug. Aber wie? Waren es gestern nicht sechs Löcher gewesen und jetzt waren es nur fünf? Und da stand auch neben ihm eine Schale mit Wasser nebst einem kleinen Brot! Wo kamen diese Gegenstände her? Es war nirgends eine verschiebbare Öffnung zu sehen. Sein Kerker fing ihm an geheimnisvoll zu werden. Wenn mir Speise gebracht wird, überlegte er, muß sich ein menschliches Wesen dem Gefängnis nähern, ich kann mich also auf jeden Fall mit diesem Überbringer des Brotes in Verbindung setzen, sobald er nahe genug an die Wand herangetreten. Vielleicht, daß dieser Mensch mehr Erbarmen fühlt, als sein Herr und mir einen Weg zum Entkommen öffnet, wenn ich ihm große Versprechungen mache. Menes trank hierauf von dem Wasser, zu essen vermochte er nicht. In trostloser Ergebenheit ward dieser Tag hingebrütet; er fühlte, wie lähmend dieses öde Nichtstun auf Geist und Körper wirkte. Dazu kam eine grenzenlose Abspannung aller seiner Kräfte, die ihm unaufhörlich bald kalten, bald glühenden Schweiß aus allen Poren trieb. Er sagte sich, daß, wenn sich seine Lage nicht bald ändere, er unrettbar völliger Geistesumnachtung anheimfiele, denn schon war er nicht mehr ganz Herr seiner Gedanken, schon begannen sich dunkle, unheimliche Schatten um sein inneres Auge zu legen. Er ertappte sich oft auf völlig sinnlosen Einfällen, unlogischen Gedankenverbindungen, und manchmal war es ihm, als müßte er sich vor sich selbst entsetzen. Wenn er sich so in seinem Käfig umblickte, überrieselte es ihn manchmal, als schüttete man einen Feuerregen
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