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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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Verrücktheit macht die Menschheit erst interessant. Ein vollkommen normaler Mensch wäre eine entsetzlich langweilige Maschine, ein Automat! Dazu möchten uns aber die Irrenärzte gern machen. Jede Leidenschaft ist dort eine Art Wahnsinn! Was wäre aber,« setzte er mit einem Blick auf Emma hinzu, »das Leben ohne Leidenschaft? Wenn es künftige Geschlechter einmal dahinbringen ganz normal zu sein, dann lebwohl Kunst und Poesie! Dann singt nur noch die platte Nüchternheit.«
    Man stimmte ihm im allgemeinen bei.
    Dem Direktor ward dies Gespräch lästig. Er tat als stimmte er mit den Ansichten seines Sohnes überein, sprang aber auf ein anderes Thema ab. Die Poesie gehe der Menschheit immer mehr verloren, erklärte er. Er sei deshalb auch ein Gegner der Friedensbestrebungen. Gerade im Gräßlichen des Krieges liege eine hohe Poesie. Überhaupt lege man zuviel Gewicht auf das Einzelwesen.
    Dem widersprach nun Karl. »Im Lauge der Jahrtausende,« meinte er, »werden die äußeren Kämpfe der Menschen immer mehr in innere verwandelt; die Poesie, die du, Papa, suchst, wird immer mehr eine innere werden, eine Darstellung der Leidenschaften. Homer schildert nur körperliche Kämpfe, Betätigungen der Muskelkraft; Shakespeare stellt fast nur Seelenkämpfe dar, wie auch der moderne Roman. Krieg muß auf Erden nur noch so lange fortgesetzt werden, bis es keine barbarischen Volksstämme mehr gibt.«
    »Und keine Verbrecher mehr gibt!« wendete Emma ein, »denn die Justiz ist auch ein Krieg und die Verbrecher sind die Barbaren, die Wilden, die mitten unter uns Civilisirten unsre Kulturarbeit bedrohen.«
    Karl schrak zusammen. War er denn nicht auch solch ein »Wilder«, der mitten in dieser Familie seine zerstörenden Pläne spann?
    Dieser Gedanke zernagte seinen Geist, während sein Bruder Eduard am Klavier saß und Beethoven spielte. Je inniger die erhabenen Töne seine Seele umarmten, desto deutlicher empfand er seinen Haß, seine Eifersucht, als etwas Unnatürliches; es war ihm, als hätte sich über seine sonst reine Haut ein ekler Ausschlag gezogen. Sobald aber die Töne verstummten, trat dieses Gefühl in ihm zurück; dann fand er seine Eifersucht wieder selbstverständlich.
    Emma, die ihn beobachtet hatte, sagte mit Bezug auf sich selbst: »Ist es nicht merkwürdig, daß wir einen Fehler klar für einen Fehler erkennen können, und ihn doch nicht abzulegen vermögen? Ich leugne deshalb auch die Macht der Erziehung.«
    »Ganz recht,« bemerkte Karl, »die Erziehung vermag weiter nichts, als unsere schwachen Stellen zu verdecken. Ändern können wir in uns nichts.«
    »Ja!« setzte Emma hinzu, »das hab ich zu meinem Ärger schon an mir selbst erfahren.«
    Der Direktor war anderer Meinung. Man könne doch Fehler ablegen.
    »Nun ja,« versetzte Karl, »die Erziehung ist wie der Arzt, der die äußeren Symptome der Krankheit eine wenig ersticken kann; die angeborne Krankheit bricht aber zu gelegener Zeit wieder durch!«
    Emma sah sinnend vor sich hin; sie dachte an ihren Mystifikationsdrang, Karl dachte an seinen Haß, der Direktor an seine aufkeimende Leidenschaft und Katharina an ihre Absonderlichkeiten.
    Karl unterbrach die eingetretene Stille: »Da es so schwer ist Andre zu erkennen und noch viel schwerer sich selbst zu erkennen, müssen wir immer ein großes Verzeihen bereit haben. Wie langweilig wäre das Leben, wenn wir uns nichts mehr zu verzeihen hätten!«
    »Ja, ja!« flüsterte Emma vor sich hin; »auch der Tugendhafteste rühme sich nicht seiner Tugend.«
    Der Direktor widersprach: »Es gibt denn doch in sich gefestigte Charaktere.«
    »Die gerade deshalb am leichtesten zu Fall kommen,« meinte Karl, »weil sie bei ihrem sittlichen Dünkel das leise Heranschleichen der Gefahr garnicht bemerken.« –
    Emma verließ die Gesellschaft gegen halb elf Uhr. Konrad ging auf Karls Zimmer, um seinen Mantel anzuziehen.
    »Ich kann begreifen, daß du in sie verliebt bist!« sagte der fette Student. »Sie ist ja reizend. Aber gib acht, – dein Vater hat ein Auge auf sie!«
    Karl erschrak. »Was? das hast du bemerkt?«
    »Das muß doch ein Blinder sehen. Er guckt sie ja beständig an, beobachtet jede ihrer Bewegungen . . .«
    Karl sann verdrossen vor sich hin.
    »Überhaupt,« fuhr der asthmatische Konrad fort, »wo soll das hinaus? Sie ist doch zu alt für dich. Da wüßt ich dir schon was Besseres, – ganz in deiner Nähe.«
    »Was?«
    »Die reizende Natalie Meyer.«
    »Ach die.«
    »Ist das nicht ein köstliches

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