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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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schon.«
    Sie waren an dem großen Haus des Direktors angekommen, dessen dunkle Tordurchfahrt Beide aufnahm. Der kleine Hof, vom Hausgarten durch ein Gitter getrennt, führte rechts ins Treppenhaus, das einfach aber nett mit Stuckarbeiten verziert war. Der Sohn des Direktors nahm Abschied von dem Künstler, der noch ein Stockwerk höher hinauf mußte.
    Als der Maler dann vor der mit weißen Vorhängen verhüllten Glastür stand, konnte er doch seine Scheu nicht überwinden. Hinter der Glastür huschte verschwommen die Gestalt des Dienstmädchens vorbei, darauf die Gestalt der reizenden Frau Rechtsanwalt. Es war doch eine unpassende Zeit den Leuten jetzt ins Mittagessen hereinzufallen, ihnen den Appetit zu verderben. Dem Musenjüngling schlug das Herz sehr unbehaglich in der Brust. Er war zu gutmütig, um der hübschen Frau ihre scharfe Kritik seines Aeußeren übel zu nehmen; er hatte Mitleid mit der kleinen Kokette. Wer wußte denn, ob nicht die dreihundert Mark die er der Familie überließ, dem reizenden Frauchen jährlich eine kleine Badereise ermöglichten? Nein verliebt war er nicht in sie, durchaus nicht, aber er hatte sich so gern mit seiner »Vormundin« unterhalten. Vielleicht hatte sie auch jene spitzigen Bemerkungen über ihn nur deshalb gemacht, um nicht in den Verdacht zu kommen, – sie liebe ihn! Ganz gewiß! So wars! So traf er das Richtige! Er braucht ihr also nicht zu zürnen.
    Nein! jetzt das Geld zurückzufordern, war ihm unmöglich! Er schlich sich wieder die Treppe hinab. Heut gegen abend ist auch noch Zeit, rief er sich zu.
    So machte er denn einen Spaziergang, studierte die Natur, um sie dann später in ein Kunstwerk zu bannen.

    5.
    Gegen Abend saß der Rechtsanwalt Wilhelm Meyer in seinem breiten Lehnsessel direkt vorm Fenster, das den Ausblick bot auf den kleinen Garten des Körnschen Hauses. Er sah von seiner Münzensammlung, deren Kästen vor ihm am Fenster standen, mit trüber Miene empor. Die römischen Kaiserköpfe auf den Kupfer- oder Silbermünzen fesselten ihn nicht länger. Es kam ihm allmälich vor, als grinsten ihn die toten Metallgesichter höhnisch an. Sein rundes, dickes Gesicht legte sich in sorgenvolle Falten, seine sonst so joviale, von lustigen ›Krähenfüßchen‹ umzirkten Augen blickten melancholisch hinüber auf die gelb und gelber sich färbenden Bäume des Hausgartens.
    Es ging schon auf sechs Uhr. Die Dampfröhre an der linken Seite der großen Druckerei verpustete allgemach, immer langsamer kamen die sterbenden Töne, pft! pft! – jetzt stand das Herz der Maschine still. Die Setzer, deren Blusen blau verschwommen durch die breiten Glasscheiben schimmerten, verschwanden allmälich; öd stierten die finstern Scheiben über die Mauer des Gärtchens.
    Dem Anwalt kam das Gebäude jetzt in der Abenddämmerung vor wie ein grinsender Totenschädel mit seinen hohlen, leeren Augenhöhlen. Am großen Wohnhaus blinkten in den Fenstern fröhlich rotgoldene Lichtpünktchen auf. Er sah die Küchenmädchen hinter den Abgußsteinen stehen oder sich rasch bewegen. In den engen Hof rollte jetzt, von zwei hemdärmeligen Metzgerburschen geschoben, der gelbe Metzgerkarren, aus dessen Segeltuchüberwurf die weißen Schweinsbeine heraushingen. Die stämmigen Bursche luden die Schweinshälften auf die mächtigen Schultern und trugen sie nach der Wurstküche. Jetzt kamen sie aus dem Anbau wieder zurück, sie schäkerten mit den Dienstmädchen, neckten sich, balgten sich.
    Wie peinlich den Anwalt heute dieses lockere Treiben berührte. Aus jeder Lachsalve, die gedämpft durchs geschlossene Fenster herüberwehte, klang ihm ein Vorwurf ins Herz. Die Dampfröhre hatte, als sie vorhin noch ihre Wolken ausstieß, ihm voll Verachtung zugepustet: »pfui! pfui! pfui!« Als der Pfiff der Maschine den Schluß der Arbeitszeit verkündet hatte, wars dem Gemütskranken gewesen, als pfeife die ehrliche Welt ihn aus, stoße ihn aus, den Schurken! sein ganzes Leben war eine ausgepfiffene Komödie!
    Jeder Laut erschreckte ihn. Wenn draußen auf dem Hausgang seine Frau oder das Dienstmädchen vorüber eilte, erbebte er; wenn ein Blatt vom Tisch fiel, sah er erschrocken um, nach der Türe; wenn draußen die Klingel ertönte, erbleichte er. Waren es Schutzleute? Unsinn! so weit wars ja nicht. Otto Grüner wußte ja noch garnichts davon! wie konnte er also die Gerichte in Bewegung setzen? Aber dem von Gewissensbissen Zerquälten schien zuweilen das Unmögliche das Wahrscheinlichste.
    Nun stand der

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