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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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räusperte er sich vornehm und blickte die Möbel vernichtend an, als könnten sie unter Umständen sich unterstehen, an seiner Charaktergröße zu zweifeln. Besonders den eisernen Ofen durchbohrte er mit einem grimmigen Blick. Dann rückte er mit verächtlicher Geberde den Sessel zurecht; er ließ sich gewissermaßen herab, den Sitz mit der Berührung seines Körpers zu beehren. Wieder ein gedankentiefes Vorsichhinstarren, genau wie er vor der Klasse ins Weite starrte, wenn ihm im Augenblick der Gedankenfaden gerissen war und er den Verlornen mit einem langgezogenen äh – – äh – wieder aufsuchte. Die Federhalter lagen noch nicht ganz wie sichs gehörte; der eine ragte um einen Millimeter vor dem andern heraus. Dies mußte erst in Ordnung gebracht werden. Auch die Aufsatzhefte waren nicht systematisch übereinandergelegt. Wo war die rote Tinte? hier! Ja, aber der Kork war nicht feinsäuberlich neben das Fläschchen gelegt.
    Nun setzte er sich wieder mit vornehmem Räuspern an den Pult, um die Aufsatzhefte durchzukorrigieren. Die Aussicht auf Erlösung von dieser fürchterlichen Ehefessel schmeichelte sich in seine trocknen grammatikalischen Regeln und präzeptoralen Vorstellungen hinein. Die roten Tintenstriche lachten ihn ordentlich an. Jeden Augenblick ertappte er sich auf einer herrlichen Phantasie; wie er eine Erholungsreise nach Paris machte; wie er eine junge Haushälterin zu sich nahm, – doch zu jung durfte sie nicht sein; aber jedenfalls brauchte er um seine Hauswirtschaft in Ordnung zu halten, eine weibliche Person. Er fühlte sich wieder ganz jung und pfiff sogar einmal, während er einen kräftigen blutroten Strich durch eine kindische Phrase eines Aufsatzes machte, lustig vor sich hin. Doch verurteilte er diesen Freudenausbruch selbst, als eine eines großen Charakters unwürdige Handlung.
    Er hatte auch Hunger, da er vorhin nichts gegessen. Sollte er sich herablassen, das im Zorn Verschmähte jetzt nachträglich . . .? Er zauderte. Doch nein! es war charaktervoller zu verzichten, die Rolle des Ehemärtyrers festzuhalten. Mit stolzer Entsagung vertiefte er sich wieder in die Aufsatzhefte.
    »Hm! nicht übel!« murmelte er gnädig im Lesen, – da hatte er unversehens die Finger mit der roten Tinte befleckt. Bei einer ungeschickten Bewegung, um die Hände zu reinigen, kippte das kleine Tintenfaß um, – ein Purpurfluß ergoß sich über ein Heft, und tropfte am Pult hinab auf den Fußboden. Der Direktor stand auf und klingelte ärgerlich dem Dienstmädchen.
    Karl, der gerade an der offenen Tür vorbeischritt, blieb stehen. Ein seltsamer Schauer zuckte durch sein Herz! die rote Lache am Fußboden . . .! Er starrte mit einem sonderbaren grausigen Behagen die purpurnen Tropfen, die an der Platte des Pults hingen, an. Es war ihm, als sei das keine Tinte, – – Blut!
    Von Entsetzen gepackt eilte er hinweg zur Mutter, die sich gerade wieder an ihren Schreibtisch gesetzt hatte.
    »Könnt ihr euch denn gar nicht besser vertragen, Mama?« sagte er mit tränenerstickter Stimme. »Es ist doch gräßlich! die ganze Nachbarschaft hält sich darüber auf.«
    Katharina tauchte mit pompöser Gebärde die Feder in das große Tintenfaß.
    »Ja, du tust ja grad, als ob ich daran schuld sei?« sagte sie in dem singenden Tonfall ihres heimischen Dialekts.
    »Solltest du nicht auch manchmal ein wenig die Schuld tragen?«
    »Mein Gott ist denn das ein so großes Verbrechen, wenn mal das Essen nicht ganz hoftafelmäßig ausfällt? Ich halt das nicht aus, lieber Karl! Dies ewige Streiten ruinirt meine Kräfte. Ich bin wirklich schon mit dem Gedanken umgegangen, ob es nicht für uns Alle besser wäre, wenn wir, dein Vater und ich, – uns trennten.«
    »Das wäre vielleicht eine Lösung der Frage,« meinte Karl sinnend.
    »Ja,« fuhr sie exaltiert fort. »Ich glaub, ich könnte dies Opfer meinem großen Werk über Göthe bringen, denn die ewigen Zänkereien bringen mich in meiner Arbeit zurück. Ich könnte längst den ersten Band meines Werkes vollendet haben. Er hat auch nicht das geringste Verständnis für die Wichtigkeit meiner Forschungen, sonst würde er so kleine Unbequemlichkeiten gern in Kauf nehmen. Ich bin nahe daran meine Aufgabe zu lösen, die Welt steht vor einer großen Überraschung.«
    »Das hast du schon vor zwei Jahren gesagt.«
    »Diesmal sag ichs zum letztenmal. Ich weiß nun bestimmt, daß Fausts Gretchen nicht das Gretchen ist, das die Gelehrten für das Gretchen hielten, sondern daß das

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