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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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dunkeln Drängen, die ihn zu Abgründen locken wollten, zu entfliehen. Er fragte den Mann nach dem Weg, den er genau kannte. Seine Hoffnung, durch angenehme Eindrücke Zerstreuung zu finden, sollte indes getäuscht werden.
    Kaum hatte er die sehr einsame Rh . . . straße erreicht, so lief ihm ein etwa achtjähriger Junge in den Weg, der, die eine Hand mit der andern festumklammernd, leise vor sich hinstöhnend, wie ein Blinder oder halb Bewußtloser dahintaumelte. Karl, der erstaunt den Kleinen genauer ins Auge faßte, bemerkte, daß von der umklammerten Hand Blut herabtropfte. Er hielt den Stöhnenden auf und fragte ihn, was denn das zu bedeuten habe? Der Junge ächzte und wollte ohne zu antworten weiter rennen. Karl packte ihn an der Schulter und gewahrte, als er ihm leise die eine Hand von der andern loslöste, daß sich der Ärmste, wie er denn auch weinend bestätigte, die ganze innere Handfläche mittelst einer Glasflaschenscherbe in die er gefallen war, grausam zerschnitten hatte. Der Junge war vor Schrecken und Schmerz ganz sinnlos und wäre, wenn ihn Karl losgelassen, mit seiner gräßlichen Wunde einfach weitergelaufen. Das ließ nun der junge Mann nicht zu. Er faßte ihn am Arm und brachte ihn zu einem nicht weit entfernt wohnenden Bader. Hier machte Karl die für seinen jugendlichen Idealismus sehr niederschlagende Beobachtung, daß sich der Bader anfangs entschieden weigerte die Wunde zu verbinden. Der menschenfreundliche Gymnasiast konnte sich erst dies Zögern gar nicht erklären; es war doch Menschenpflicht dem Verwundeten so rasch als möglich zu helfen! Bald merkte er, daß der schlaue Geschäftsmann den Fall ausnutzen wollte, daß er, bevor er Geld sah, keinen Finger rühren wollte. Angewidert von dieser Herzlosigkeit, legte Karl eine Mark, sein letztes Geld, für das er sich ein Reklambändchen hatte kaufen wollen, auf den Tisch. Dieser Anblick brachte denn auch das Christentum des approbirten Baders wieder in Fluß. Er ließ aus einem Apparat Wasser über die Wunde des nun kläglich Winselnden, von einem Bein angstvoll aufs andere Hüpfenden fließen. Karl redete dem Leidenden freundlich zu und suchte ihn zu beruhigen. Er befand sich dabei in einer merkwürdigen Gemütsverfassung. Die blutende Wunde flößte ihm Schauder ein, er wollte die Blicke von ihr und dem jämmerlich Ächzenden abwenden. Aber stets zog ihn die zerschnittene Hand und die Leidensmiene des Verwundeten wie mit magnetischer Gewalt wieder an, . . . beinahe mischte sich ihm in sein Mitleid ein prickelndes, quälendes, zu Tränen reizendes Lustgefühl. Dann fragte er sich: wenn du nun diese Wunde verursacht hättest? Es kam ihm vor, als hätte er es wirklich getan! Nun tauchte auch wieder die purpurne Hand seines Vaters in seiner Phantasie auf. Wenn die Tinte auch Blut gewesen wäre? und du  . . . auch dies Vaterblut vergossen hättest? Ein Schrei des Jungen riß ihn aus diesen mit traumartiger Gewalt seinen Geist umklammernden Vorstellungen. Den eignen Vater . . . verwunden? Wie ist das möglich! Wie kann dir nur so ein Gedanke ins Hirn kommen! Er eilte rasch aus dem Laden auf die Straße.
    Ein Automobil pustete an ihm vorüber; heiteres Leben, Gelächter rings um. Oder war das nur Larve? Heuchelte die Straße nur Heiterkeit? War nicht jeder der Vorübereilenden tief im Herzen totunglücklich und trug nur eine lächelnde Miene zur Schau? Gewiß so wars. Der Gegensatz zwischen arm und reich, glücklich und unglücklich ist nur Schein; im Grunde sind wir alle gleich elend. Aber doch! Was in dir versteckt arbeitet, das fühlen deine Mitmenschen nicht! Du bist also doch elender als alle übrigen. Alle können ihren Vater lieben, – nur du nicht!
    Er kam in ganz zerschlagenem Zustand zu Hause an. Jetzt wars ihm zum erstenmal klar geworden, was eigentlich in ihm gährte. Was Andern vielleicht ein Lächeln abgenötigt hätte, – die Schrullen und schulmeisterlichen Angewohnheiten seines Vaters, – die haßte er; sie waren ihm zum Ekel. Sobald eine Geste seines Erzeugers in seiner Phantasie auftauchte, mußte er sie schleunigst mit aller Gewalt aus seiner Vorstellung verbannen, denn wenn ihm dies nicht gelang, überlief ihn das Zittern des Widerwillens. Die Stimme des Vaters, die jetzt durch zwei Türen zu ihm herüberscholl, grub sich mit so widerlicher Schärfe in sein Ohr, daß sie einen ohnmachtartigen Zustand in ihm hervorbrachte. Als er die Schritte des Vaters an seiner Tür vorübergehen hörte, stand er auf; sein

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