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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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Gretchen . . .« Sie verwickelte sich dermaßen, daß sie ihren Satz selbst nicht mehr verstand.
    »Nun ja,« unterbrach sie der Sohn verlegen. »Es ist schon gut; ich weiß was du sagen willst.«
    »Nein, du weißt es nicht!« fuhr sie eigensinnig fort. »Kein Mensch versteht mich! Hör mir nur noch einen Augenblick zu, dann geht dir vielleicht ein Licht auf über die sonderbaren Verhältnisse, denen ich auf die Spur gekommen bin.«
    »Ich hab leider keine Zeit, Mama,« entschuldigte er sich, »ich muß in die Schule.«
    Er ging. Wiederholt schon waren ihm Zweifel an diesen Götheforschungen seiner Mutter aufgestiegen. Er gestand sich diese Bedenken aber selbst nicht ein; der Vater sollte unrecht, die Mutter recht haben. –
    Als Karl um vier Uhr aus der Schule kam, schlief jener silberbleiche, kühl absterbende Sonnenschein über den fernen Waldhügeln der duftblauen Landschaft, der dem Spätherbst einen eignen Reiz süßer Melancholie verleiht. Er brachte es nicht übers Herz gleich nach Haus in die engen Stuben zu den peinlichen Zuständen der Familie zurückzukehren. Sein bedrücktes Gemüt verlangte nach Ausspannung, nach Freiheit. Seine reiche Phantasie bevölkerte ihm nun Wald und Flur. Sogleich suchte er einen kleinen Teich auf, der eine Stunde von der Stadt entfernt mitten in Wiesen lag. Da war sein Lieblingsplatz. In der Ferne blauten Wälder, in der Nähe säuselte träumerisch das Schilfrohr.
    Hier an der großen Linde, die sich über den im Wind schauernden Spiegel des Weihers beugte, gab er sich seinen Träumen hin. Aus diesem säuselnden Röhricht stieg vor seiner Phantasie eine Wassernixe empor . . . Emma! Sie schwamm zu ihm heran . . . metallisch glänzte ihr Schuppenleib unterm Wasser, . . . sie stützte naiv lächelnd ihre feuchten Arme auf seine Kniee und blickte ihm mit treuherzig großen Augen ins Gesicht. Er küßte ihre feuchten Haare; sie sollte ihm verraten, welche Fragen ihm im Examen vorgelegt werden.
    Aber mitten in das tiefe Behagen, das ihm derartige Phantasieen erregten, stahl sich ihm eine lästige Empfindung, die ihm anfangs nicht recht klar war. Allmählich merkte er, daß er seltsamer Weise den Eindruck nicht mehr los werden konnte, den jener purpurne Tintenstrom am Pult seines Vaters in seinem Geist zurückgelassen. Überall, wo er hinblickte, schien ihm ein roter Flecken zu schweben. Besonders wenn er die Augen schloß, hatte er deutlich das Gefühl, als ob von den Blättern der Büsche rote Tropfen in den Teich sickerten. Dabei brachte er diesen purpurnen Tropfenfall in eine geheimnisvolle, unheimliche Verbindung mit dem Vater, mit dem Groll, ja Haß, den er gegen ihn hegte. Immer wieder sah er die roten Fingerspitzen des Vaters vor sich . . . und ertappte sich dabei auf einer wunderlichen Vorstellung, die er gar nicht weiter verfolgen mochte. Ganz entsetzt über sich selbst, sprang er aus dem Gras, in dem er gelegen, empor. Du bist doch ein so mitleidiger Mensch, rief er sich zu, wie können dir so grausame, blutdürstige Phantasien ins Hirn kommen? Es war zu lästig. Er mußte die Einsamkeit fliehen, Menschen aufsuchen, wieder in die Stadt zurückkehren.
    Rasch eilte er, die Schulmappe unterm Arm, durch die in prächtigen Farben schimmernde Herbstlandschaft und diese absterbende Natur, die sich vor ihrem Ende noch einmal in ihre prächtigsten Krönungsgewänder hüllte, diese goldgrünen Wälder, diese roten Hecken, die sanfte Luft, erweckten eine süße Auflösungssehnsucht in ihm. Er meinte, es müßte zu den großartigsten Wollüsten gehören, am Busen der Natur zu verbluten, zugehüllt zu werden von langsam herabweinenden Blättern.
    Dann verlor er sich wieder ganz in seinem Innern, das ihm vorkam, wie eine große Taucherglocke, die langsam tiefer und tiefer in grünlichschwarze Meerestiefe sinkt, – zuweilen blinkt ein purpurner Korallenbaum auf, zuweilen zuckt ein goldner Fisch durch die smaragdne Finsternis, geheimnisschwüle Stimmen locken in immer tiefere liefen . . .! Dort unten brüten Scheusale . . . Salamander und Drachen!
    Er sah jetzt nichts mehr von all der Blätterpracht. Vom Schießhaus herüber knallten in kurzen Zwischenräumen Schüsse, er hörte sie kaum, so sehr war er damit beschäftigt, seine widerlichen Phantasien los zu werden.
    Kaum hatte er die erste Straße der Stadt erreicht, so redete er einen vorübereilenden Dienstmann an, nur um wieder eine menschliche Stimme zu hören, nur um für einen Augenblick sich selbst und den

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