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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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Das schlug dem Faß den Boden aus. Erst sank der Direktor vernichtet auf seinen Stuhl. Dann sprang er zitternd vor Wut auf sie zu und zerrte sie heftig am Arm.
    Eduard, der seine Schmachtlocken zurückstreifend, gerade die gekochte Quaste näher untersuchte, wollte der schreienden Mutter zu Hilfe eilen.
    »Laß die Mutter los!« rief er dem über sein Eheunglück aufs tiefste empörten, halb sinnlosen Mann zu. Dieser – ganz seinen pädagogischen Grundsätzen zuwider – versetzte seinem ältesten Sohn eine jener Ohrfeigen erster Ordnung, womit er sonst nur bei den ganz kleinen, verkommenen Kaulquabben der Schule Sitte und Zucht zu stützen für notwendig hielt.
    Dem Sohn flogen die blonden Schmachtlocken ums Gesicht. Er – der Gott! – geohrfeigt? Entrüstet schüttelte er seine Künstlerlöwenmähne, fing den eben zum zweiten Schlag ausholenden Arm des Vaters auf und schrie: »Ich bin nicht mehr dein Schüler!«
    »Aber leider mein Sohn!«
    Der Pädagog geriet durch diesen Widerstand in vollkommene Wut. Er packte den Sohn, der ihm ja auch sonst soviel Ärger bereitete, am Hals. Der Gewürgte schrie: »Er bringt mich um!« und fuchtelte windmühlenartig mit den Armen in der Luft herum, die langen Klavierfinger krallenhaft auseinandergespreitzt. Es entstand ein regelrechtes Geräufe, das auch noch nicht aufhörte, als Karl eintrat und starr vor Entsetzen die Kampfszene betrachtete. Der Direktor, der seinem gepreßten Herzen einmal Luft machen wollte, würgte seinem allmählich den Widerstand aufgebenden Eduard so bedenklich, daß Katharina schreiend ihren Karl anflehte, auf die Polizei zu eilen; der Vater bringe den Sohn um!
    Karl warf seine Schulbücher in eine Ecke. Statt auf die Polizei zu laufen, suchte er die umklammernde Hand des Vaters von der Kehle Eduards zu reißen, der schon ganz blaurot im Gesicht nach Luft schnappte. Endlich ließ die direktorale Riesenschlange von ihrer Beute. Eduard sank halb ohnmächtig auf einen Stuhl. Die gelbe Mähne hing ihm wie ein Vorhang übers niedergebeugte Gesicht herab, so daß ihm einige Strähnen in die halboffenen, nach Luft schnappenden Lippen gerieten.
    »Ist so was bei gebildeten Menschen erhört?« rief Karl. »Sind wir Neger? Räuber?«
    Der ganz bleichgewordene Vater sah mit blutunterlaufenen, tränenden Augen keuchend um sich, als wache er aus einem furchtbaren Traum auf.
    »Wenn man mich so zur Verzweiflung treibt!« stöhnte er. »Entsetzlich! Was für eine Ehe! O! o! es ist nicht mehr zum aushalten! man geht zu Grund!!«
    Dann wankte er auf sein Studierzimmer, wo er ganz erschöpft, in krampfhaftes Weinen ausbrechend, auf das Sopha sank.
    In diesem Zustand traf ihn sein Hausarzt, Medizinalrat Dr. Martin Müller, dem er, da dieser in alle Familiengeheimnisse eingeweiht war, mit Tränen in den Augen den ganzen Sachverhalt auseinandersetzte.
    »Lieber Doktor,« seufzte er, »mein deutsches Pflichtgefühl hat mir mein Lebensglück zerstört, mich zu Grund gerichtet! Ich hätte das Mädchen allerdings nicht heiraten sollen! Jetzt hat man eine halb geisteskranke Frau . . . mit geistig entarteten Kindern . . .«
    »Was hab ich dir damals schon abgeredet, bester Freund!« sagte mitleidig der Studiengenosse. »Weißt du noch? als sie nach dem Fall auf dem Eis auf einmal von einer solchen Schreibwut befallen ward.«
    »Ich sehs zu spät ein!« seufzte der Direktor. »Du hast dein ganzes wissenschaftliches Rüstzeug gegen meine dumme Verliebtheit ins Feld geführt.«
    »Wer aber Verliebten predigt . . .! Weißt du noch, wie wir uns beinahe entzweit hätten? Ich war damals Student und hab den Fall schon ziemlich richtig beurteilt. Jetzt als erfahrener Arzt würd ich ihn noch mit ganz andern wissenschaftlichen Gründen stützen. Na, da läßt sich jetzt weiter nichts mehr machen.«
    Der festgebaute lebhafte kleine Doktor mit dem hübschen, vom vielen Marschieren geröteten Gesicht, hatte sich gesetzt und nachdenklich den Elfenbeinknopf seines Stockes an die Unterlippe gedrückt, bis diese ganz breit über die Oberlippe hervorragte.
    »Läßt sich da wirklich nichts machen?« seufzte Körn. »Ich glaube, man geht zu Grund! Man hält das nicht aus!« setzte er pathetisch hinzu.
    Der Arzt mußte ein Lächeln unterdrücken über die Art wie sich hier echter Schmerz mischte mit hohler Schulmeisterphrase. Körn, der als früheres Wunderkind stets geistig bedeutend erscheinen wollte, fing nun in wohlgesetzter Rede, in geschraubten Wendungen an, sich selbst zu

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