Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
bedauern.
»Ich will dir was sagen, Bester,« beruhigte ihn der etwas derbe Medizinalrat, dessen Vater Dorfpfarrer gewesen war. »Das kann freilich so nicht weiter gehen, – das sieht Jeder. Deine Frau wird auch nicht anders. Du hast es ja auf meinen Rat schon mit allerlei Erziehungskünsten versucht, ich weiß! Hat alles nichts genützt; sie ist von ihren Wahnideen nicht abzubringen.«
Körn bestätigte das mit stummem Kopfnicken.
»Bleibt also nur Eins, um dich zu retten,« fuhr der Arzt besorgt fort.
»Du meinst . . .?«
»Ja . . . habs schon oft gesagt. Deine Frau muß in eine Anstalt.«
»Für immer?«
»Wenn notwendig – für immer!«
Über Körns Züge zuckte ein kaum merkbarer Zug der Erleichterung; in seinen schwarzen lebhaften Augen blitzte ein freudiger Hoffnungsstrahl auf, er fuhr sich mit der wohlgepflegten Hand von der goldenen Uhrkette nervös nach dem braunen Backenbart.
»Das ist auch das einzige Mittel,« fuhr Dr. Müller fort, »um deine Kinder dem unheilvollen Einfluß der Mutter zu entziehen. Dein hochbegabter Karl leidet bereits unter der Nervosität der Mutter. Auch die Nervenleiden haben eine gewisse ansteckende Macht . . .«
Körn beugte sinnend den Kopf. »Ja, kannst du es denn auf dein Gewissen nehmen?« begann er leise. »Ist sie tatsächlich geistig so abnorm, daß ihr Leiden die Unterbringung in einer Anstalt entschieden rechtfertigt?«
Der Medizinalrat besann sich. »Ja darüber,« sagte er achselzuckend, »kann man freilich verschiedener Meinung sein. Eigentlich geisteskrank ist sie nicht; sie gehört zu der großen Klasse der psychopathisch Minderwertigen.«
»Bedenke auch,« mahnte der Direktor, »was die Welt sagen würde, wenn . . . Du verstehst. Meine Stellung als Beamter . . . Es darf doch um Gotteswillen nicht so aussehen, als ob ich sie los sein wollte.«
»Ich verstehe. Darüber kannst du dich beruhigen. Wir überreden die arme Frau, sie möge nur für vier bis sechs Wochen zur Erholung ihrer angegriffenen Nerven in eine Anstalt gehen. Dann überlassen wir das Übrige dem dortigen Direktor.«
»Das wird das Beste sein,« meinte Körn. »Es wird aber schwere Kämpfe kosten, bis wirs soweit gebracht haben! sie ist sehr mißtrauisch. Die Kinder werden sich auch dagegen sträuben. Den Kampf mit den Kindern fürchte ich sogar am meisten. Die ergreifen stets Partei gegen mich und für die Mutter. Sie halten mich für einen Tyrannen, die Mutter ist ihnen das arme Opferlamm meiner Grausamkeit! Und dann . . . o Gott! Die böte Welt! Die verruchten Mäuler meiner Feinde, denen selbst das Unglück nicht heilig ist.«
»Der Welt gegenüber,« versetzte der Arzt, »kann ich diesen Schritt schon rechtfertigen. Deinen Kindern mußt du die Sache ernsthaft vorstellen, daß es ja nur zum Wohl der Mutter geschieht, daß du selbst krank wirst . . . kurz es wird schon gehen.«
Der Direktor seufzte aus tiefster Seele auf, immer mit einem Anflug von Pose. Das Wunderkind mußte sich doch im Schmerz größer zeigen als die gewöhnlichen Sterblichen.
»Mut, Mut, Alterchen!« tröstete ihn der frühere Studiengenosse.
»Ich bin ein Opfer meines Pflichtgefühls!« stöhnte Körn pathetisch. »Ich tue es nur meiner Kinder wegen! Die arme Frau!« setzte er leise hinzu, »Die arme Frau!«
»Nun – warten wir noch ein paar Tage,« entschied der Medizinalrat. »Vielleicht gewinnen wir noch einen recht drastischen Beweis, der uns den Schritt zur unabweislichen Pflicht macht. – Wir haben ja Beweise genug, aber je mehr desto besser!«
Körn begleitete den Arzt mit der stillen, erhabenen Unglücksmiene des bedeutenden Mannes an die Türe. Als er gegangen war, hellte sich indes diese Miene sogleich wieder auf. Er gestand sich selbst nicht ein, wie glücklich er sich fühlen würde, wenn er von dieser ehelichen Kette befreit werden könnte. Sein gesellschaftlicher Drill, seine Gewissenhaftigkeit als Beamter waren so stark, daß er sich mit bestem Erfolg innerlich vorlügen konnte, es sei ihm unendlich leid, wenn er von der Mutter seiner Kinder, der Geliebten seiner Jugend, für immer scheiden müßte. Über die angenehme Seite dieser Trennung glitten seine Gedanken scheu hinweg.
Seinen Schülern zu imponieren, ihnen ein Vorbild der Männlichkeit zu sein, war ihm so zur zweiten Natur geworden, daß er, auch wenn er für sich allein war, die Rolle des bedeutenden Geistes weiter spielte. Zuerst schritt er mit gesenktem Haupt, die Hände auf dem Rücken, durchs Zimmer. Dann
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