Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
Natalie, »ist auch der weibliche Intellekt dem männlichen im Ahnen des Übernatürlichen weit überlegen. Das wußten die alte Germanen. Wir stehen den Geheimnissen der Natur näher, als der Mann.«
»Fräulein Natalie,« versetzte Karl, »wir müssen uns manchmal miteinander unterhalten. Ich entdecke ungeahnte Talente an Ihnen. Was aber diesen Weihals anbelangt, so fürchte ich seine Rachsucht.«
»O nein,« meinte Nata, »boshaft ist er nicht.«
Beide waren aufgestanden und hatten sich ans Klavier zurückgezogen. Karl begann zu spielen. Sie lauschte.
»Ist es wahr,« fragte er, »daß Sie sich durch Maschinenschriftarbeiten selbständig machen?«
Sie bejahte errötend. Er lobte sie.
Otto hatte indeß der Frau Rechtsanwalt in seiner humoristischen Weise allerlei Künstlerabenteuer erzählt, wobei er stets tüchtig übertrieb und aufschnitt. Er bediente sich dabei eines hanswurstartig-possirlichen Dialekts, sagte z. B. ›mirkwürdig‹ ›unglooblich,‹ – kurz verdrehte die Worte zu wahren Ungeheuern. Er brachte es aber an diesem Abend, obwohl ihn Karl leise dazu animirte, nicht übers Herz, sein Anliegen vorzubringen. Als dann der Anwalt in gedrückter Stimmung wieder ins Zimmer trat, wußte er sehr geschickt das Gespräch von diesem wunden Punkt abzulenken, sodaß Otto nicht zum Ziel kam. Endlich mußten beide Freunde sich verabschieden. Auf der Treppe tadelte Karl den Kameraden heftig.
»Du bekommst nie dein Geld, du wirst ewig unmündig bleiben.«
»Morgen geh ich bestimmt hier her!« versetzte Otto in komischer Verzweiflung. »Direkt moorgen! moorgen!«
»Was? Mohrchen?«
»Ich bin n Schlappsack, n Esel, n Rindvieh, n gutmütiges Kameel mit nem roten Hals un ner Weisheitsglatz. Weißt – ich bin zu gut for so ne bösi Welt! Aber mit unfehlbarer Sicherheit –: moorgen schieß ich ins Zentrum!«
Er drehte und wand sich in seiner burlesken Weise die Treppe hinab und stürmte davon. Karl fühlte durch seinen barocken Humor einen tiefen Schmerz zittern; er erriet, was dem sonst Energischen hier die Waffe raubte, – – Emiliens Liebreiz!
6.
Als Karl heute um halb ein Uhr nach Haus kam, hatte es wieder einen dramatischen ehelich-pädagogischen Auftritt gegeben. Der Vater raste durch die Zimmer, weil das Essen noch nicht fertig war.
Die Frau Direktor hatte sich wieder mal mehr in ihre Götheforschungen als in ihre Kochtöpfe versenkt. Dazu kam noch, daß Herr Kantor Mangsilber, der Dirigent der Liedertafel, den Herrn Direktor inständigst gebeten hatte, er möge doch seiner besseren Ehehälfte einen möglichst deutlichen Wink geben, damit sie ihm mit ihrem rasirmesserscharfen Diskant nicht bei Aufführung der »Schöpfung« alle andern Stimmen durchschneide! Die Frau Direktor war über diese Zurückweisung ihres nach ihrer Meinung herrlichen Diskant außer sich.
»Was?« schrie sie, »ohne mich kann ja die ganze Schöpfung garnicht aufgeführt werden!«
Alles Zureden half nichts, der Direktor geriet in Wut. »Meinst du, ich lasse mich durch dich blamieren? Dein Diskant dringt ja durch die übrigen Stimmen wie Vitriol. Du bleibst! du singst unter keinen Umständen mit.«
»Dieser Mangsilber,« gab sie zurück, »leidet an Kapellmeistergrößenwahn. Man hat meine Stimme immer gelobt.«
» Du leidest an Größenwahn! Man hat dir nicht die Wahrheit gesagt; aus deinem Mund geht ja keine richtige Note.«
»Und aus deinem kein wahres Wort.«
»Katharina . . . ich vergesse, daß du mein Weib bist! – Das Essen ist auch wieder nicht zur Zeit fertig; ich soll um 2 Uhr in der Schule sein! Das ist jeden Tag so! Du machst mir das Leben zur Hölle!«
»Machst du mirs etwa zum Paradies?« erwiderte sie mit jener süffisanten Ruhe, die den Gereizten erst recht aufbringt. »Das Essen ist für dich gut genug.«
»Wenn es nur endlich käme!«
»Es wird gleich kommen.«
»Ich will Ordnung in meinem Haushalt! und du singst nicht im Konzert.«
»Ich singe.«
»Das wird man sehen!«
So weit ging die Sache noch leidlich. Man beruhigte sich auf beiden Seiten. Als aber die Suppe endlich aufgetragen ward und der Direktor mit Würde den silbernen Schöpflöffel in die gelbe Masse tauchte, ereignete sich etwas in den Annalen des Haushaltes noch nicht Dagewesenes. Was zog er heraus? Anfangs glaubten alle, es sei ein etwas zu groß geratener Kloß; bei näherer Besichtigung des Klumpens stellte sich heraus, das es eine Vorhangquaste war, die auf rätselhafte Weise in der Fleischbrühe mitgekocht worden war.
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