Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
uns wahrhaftig mit den Weltanschauungen, wie mit den Stylformen in der Architektur; wir erfinden keine neue mehr, wir spielen nur mit den alten. Ich bin übrigens das Suchen nach einer Weltanschauung gründlich müd.«
»Ich auch; bald sing ich: Ich hab mein Sach auf nichts gestellt.«
»Hätt ich deinen Humor!«
»Hab ihn!« sagte Konrad, »und laß die Philosophie! Nichts als Widersprüche! Da kommt man zu keinem Ziel. Halten wir uns an die Kunst! Lies weiter! Diverse Schnäpse.«
»Deine verruchte Redensart!«
»Lies weiter.«
Karl las:
– Niemand ist zu fürchten, – nur der, dem das Leben keinen Wert hat.
– Es ist oft schlauer, nicht schlau zu sein!
– Gottes Ich ist im Universum aufgelöst und konzentriert sich wieder im Menschen.
– Ein bereuter Fehler ist mehr wert, als eine protzige Tugend.
– Die ganz reichen Leute und die ganz armen haben Gott am nötigsten.
– Den Übergang vom Tod zum Leben – Geburt – sollten wir mehr fürchten, als den Übergang vom Leben zum Tod. Dieser befreit uns; jener setzt uns, ohne Richterspruch und Verteidigung, gefangen.
– Unser Körper ist vielleicht die von Stümperhand verfertigte Kopie der Seele.
– Nur wer reich ist, kann nobel sein. Aber um reich zu werden, muß man möglichst unnobel sein.
– Der Richter spricht: Ich erlaube dir zu verhungern, aber nicht zu stehlen.
– Der größte Luxus, den man sich auf Erden gestatten kann, ist – der Humor!
– Manche vornehmen Herren machen aus der Religion einen Sport, aus dem Sport eine Religion.
– Wie elend sind wir, daß sogar unsere freudigste Erregung eine Krankheit ist; das Lachen – ein Krampf!
Als Karl etwa eine halbe Stunde hindurch dem Kameraden vorgelesen hatte, fühlte er, wie es ihm innerlich leichter wurde. Der schreckliche Druck war von ihm genommen; ja als Konrad gegangen war, empfand er auf einmal den Drang, ein paar freundliche Worte mit dem Vater zu wechseln, gleichsam, als könne er dadurch seine abscheulichen Gedanken wieder gut machen. Er suchte den Vater auf, der gerade wieder vor seinem Schreibtisch saß und Aufsatzhefte korrigierte.
Der Schuldirektor war ganz erstaunt über die plötzliche Zärtlichkeitsanwandlung seines Sohns, der sich erbot, ihm wenn es nötig sei, einen Ausgang zu besorgen. Er sah von seinen Heften mistrauisch empor auf den vor ihm Stehenden.
»Du scheinst dein früheres Benehmen gegen mich zu bereuen?« sagte er.
Dies Wort goß kaltes Wasser auf die Liebesanwandlung des Sohnes. »Bereuen?« stammelte er, »mußt du gleich wieder von Bereuen reden? Kannst du Vergangenes nicht auch einmal vergangen sein lassen? Warum immer wieder an alte Fehler erinnern? wo ich so gern . . .« Es lag ihm ein herzliches Wort auf den Lippen; er unterdrückte es, da ihn ein Blick daran erinnerte, daß er wieder einmal vor seinem Erzieher, nicht vor seinem Erzeuger stand.
»Man kann nicht oft genug« fuhr dieser fort, »an seine Fehler erinnert werden. Das sind unsere besten Freunde, die das tun. Du hast gute Eigenschaften, aber leider merkt man mehr von deinem übeln. Man denke doch an den Geist des Widerspruchs, der sich stets im Benehmen, in der Unterhaltung offenbarte! Ewig widerspricht man mir!«
»Es tut mir leid, wenn ich zu schroff war,« versetzte der Sohn mit Tränen in den Augen, und erwartete nun endlich ein weiches, entgegenkommendes Wort.
»So tut dir das endlich leid?« fuhr der Schulmann fort, der auch jetzt wieder die innigen Gefühle für sein Kind hinter präzeptoraler Barschheit zu verbergen wußte. »Wenn es nur nicht zu spät ist!«
»Zu spät? wieso?«
»Ich kann nicht mehr so gegen dich sein, wie früher. Ich kann es nicht in Abrede stellen: ich bin ein Anderer geworden. Ich kann dir nicht mehr als Freund entgegenkommen, bis Dr. Simmer versöhnt ist.«
Diese geschraubten Redewendungen ernüchterten den Sohn dermaßen, daß er sich mit seinen Tränen recht lächerlich vorkam. Wie gern hätte er heute dem Vater sein ganzes Herz ausgeschüttet, ihn zum Mitwisser seiner Qualen gemacht . . .! Und nun diese direktorale Würde!
»Fräulein Emma Dorn hat sich erboten für mich bei Dr. Simmer ein gutes Wort einzulegen,« erwiderte er kühl.
»Was?« stotterte der Direktor und blickte betreten unter sich. »Diese Dame will . . . Hm, nun, – das kann sie. Ich lege ihr nichts in den Weg. Im Gegenteil. Wenn Dr. Simmer sie empfängt . . .? Er ist aber nicht gut auf sie zu sprechen . . . Ich selbst kann jedenfalls in der Sache nichts
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