Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
erschreckte sie. Weihals hatte Nata neben sich sitzen und erwies ihr viel Aufmerksamkeit. »Wenn man nur bessere Räder erfinden könnte!« erklärte er ihr. »Diese Gummiräder nutzen sich gar zu rasch ab und sind enorm teuer. Überhaupt ist so eine Automaschine ein gar zu kompliziertes Ding.« Einmal machte dann auch der Kraftwagen Miene, ohne ersichtlichen Grund stehen bleiben zu wollen, dann schoß er jedoch wieder gehorsam vorwärts. Bald hatte man das kleine Haus erreicht, es lag außerhalb der Stadt, ganz einsam mitten in einem Garten.
Als man nun durch die leeren Zimmer schritt, wußte der Kommerzienrat dem Gespräch, halb ernst, halb scherzhaft, eine solche Wendung zu geben, daß er der Frau Meyer andeuten konnte: wenn sie einmal in eine schwierige Lebenslage käme, solle sie sich nur an ihn wenden.
»Sie würden mir helfen?« lachte sie verschmitzt.
»So viel ichs vermag!«
»O, Sie sind bekannt . . . als . . . nicht grade sehr freigebig,« scherzte sie boshaft.
»Kommt darauf an!« meinte Weihals wichtig.
»Hoffentlich brauch ich Ihre Herzengüte nie auf die Probe zu stellen!« spottete Emilie arglos.
Dann redete man wieder von der neuen Hauseinrichtung. Der Maler schwärmte von dem idyllischen Leben, das er hier zu führen, von den künftigen Kunstwerken, die er hier auszuführen gedachte und die gutmütige Emilie, die für die Kunst wenigstens großes Interesse hegte, gönnte ihm von Herzen seine Begeisterung für diesen stillen Erdenwinkel, dies kleine Gärtchen, diese niedlichen mit Linoleum belegten Zimmer. Alle ihre Hausfrauentugenden regten sich, sie begann gemeinsam mit ihm vom künftigen Leben in dieser stillen Häuslichkeit zu schwärmen. Im Stillen hegte sie die Hoffnung, daß Otto – sich ein gewisses Weibchen mitten in diese häusliche Herrlichkeit setzen werde und spielte jetzt auch stark auf diesen ihren Lieblingswunsch an. Otto stutzte. Ein Licht ging ihm auf, als der Blick der hübschen Frau so verklärt auf ihrer Tochter ruhte, gleichsam als wollte sie den Künstler einladen, doch hier sein Glück beim Schopf zu fassen. Nata merkte davon nichts, oder vielmehr, sie tat als ob sie nichts davon merkte. Ihr war der Künstler sehr unsympathisch; schon sein Äußeres stieß sie ab. Otto selbst hatte gegen die niedliche Kleine mit dem reizenden Porzellanpuppengesichtchen nichts einzuwenden, aber er empfand auch keine sonderliche Neigung für sie.
Beim Nachhausegehen fragte ihre Mutter sie: ob ihr Otto gefalle? Sie sagte die Wahrheit: gar nicht. Die Frau Rechtsanwalt war darüber betrübt und gab sich Mühe ihrer Tochter die Vorzüge Ottos ins richtige Licht zu setzen, – ohne jedoch Erfolg zu haben. Natalie merkte kaum auf und grübelte beständig darüber nach, warum sich der Papa in der letzten Zeit garnicht mehr so natürlich frisch zeigte wie sonst. Sie hing sehr an ihm, es stimmte sie melancholisch, daß er auf einmal sich so verändert hatte.
Als Emilie nach Hause zurückgekehrt war, entstand zwischen ihr und dem Gatten zum erstenmal ein heftiger Streit. Er warf ihr mit einer ihr unbegreiflichen nervösen Erregtheit vor, daß sie noch selbst dazu beigetragen, den Maler in seinem Vorsatz zu bestärken.
Zum erstenmal verstand sie ihren Gatten nicht. Sie hatte ihn stets für einen Ehrenmann gehalten; aber diese sonderbare, beinahe krankhafte Aufregung, die ihn befiel, sobald von der Rückgabe dieses Geldes die Rede war, gab ihr doch zu denken. Sie blieb verstimmt und der Anwalt bemerkte bald mit tiefem Schmerz, daß seine Frau nur noch dann redete, wenn es unbedingt nötig war, daß sie oft wie in schmerzliche Träume verloren vor sich hinstarrte, daß sie ihn manchmal mit so erstaunten Augen prüfte, als wisse sie garnicht mehr, wer er sei. Ihr Vater war ein hoher Staatsbeamter gewesen, der streng seine Pflicht erfüllend, die rechte Hand des vorigen Landesfürsten gewesen war. Von diesem hatte sie den Sinn für Ehrbarkeit geerbt. Wie mußte sie es aufnehmen, wenn ihr Mann, zu dem sie stets empor gesehen, entlarvt vor ihr stand?
Der Anwalt lag fast den ganzen nächstfolgenden Tag, wie von einer schweren Krankheit befallen, auf seinem Sopha. Er schloß die Augen, konnte aber nicht schlafen. Sein Herz klopfte zum Zerspringen und wollte gar nicht mehr zur Ruhe kommen. Er zermarterte sein Gehirn über Vergangenes und noch mehr über Zukünftiges. Er wußte nicht mehr, was gräßlicher war, seine Tat oder die Folgen seiner Tat. Wenn er die Augen einmal öffnete und sein Blick durchs
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