Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
Gewissen nicht so heftig, als ich mit seinem Geld spielte. Es war mir als ob ich mit dem Geld meines erwachsenen Sohnes arbeitete. Er ist ein guter, so guter Mensch, er wird nicht gleich den Staatsanwalt in Bewegung setzen. Zeit gewonnen, alles gewonnen.«
Sie näherte sich dem Sopha, brachte es aber nicht über sich, die Hand ihres Mannes zu berühren. »Ich bin ja mitschuldig,« meinte sie. »Ich hab dich, ohne es zu wollen, so weit getrieben; wir müssen Beide diese Schuld sühnen. Beide! Vor allen Dingen muß Otto sein Geld erhalten. Dein Name darf nicht entehrt werden!«
Er sah schüchtern wie ein abgestraftes Kind zu ihr empor, die scheinbar ihre Fassung wieder erlangt hatte und mit maskenhaft starrem Gesichtsausdruck vor sich niedersann.
»Was willst du tun?« fragte er leise, scheu.
Sie fuhr wie aus bösen Träumen empor. »Laß mich das letzte Mittel versuchen!« murmelte sie; »ich hoffe – auf Weihals.«
»Du meinst, der Kommerzienrat . . . werde . . ?«
»Ich glaube, er wird mir helfen.«
»Mir hat er meine Bitte abgeschlagen!«
»Wie? Du hast ihn gebeten?«
»Ja.«
»Und er hat abgelehnt?«
»Ja.«
»Seltsam! Mir hat . . .« sie brach ab. Sie wollte von seinen Andeutungen sprechen, aber sie schwieg. Dann murmelte sie verzweiflungsvoll vor sich hin: »So mach ich den Versuch; er wird meinen Tränen nicht widerstehen.«
»Es wäre das letzte Rettungsmittel!« hauchte er.
»Ich versuchs. Ich halte ihn für gutmütig.«
Meyer zuckte die Achseln, als halte er nicht viel von Weihals Edelmut. Emilie brachte es nicht über sich, dem Niedergeschmetterten Beweise ihrer Teilnahme, ihrer immer noch nicht ganz erstorbenen Liebe zu geben. Achten konnte sie ihn nicht mehr; es blieb nur noch in ihrem Herzen für ihn das eheliche Pflichtgefühl, eine gewisse Gewohnheitsneigung, Zusammengehörigkeitsgefühl und Mitleid.
Aber der gute Name der Familie mußte gerettet werden, das stand ihr fest. Natalie durfte nie erfahren, was sich zugetragen; nicht der leiseste Hauch eines ehelichen Zerwürfnisses durfte den glatten Spiegel ihrer unschuldigen Seele streifen. Emilie forderte deshalb ihren Mann auch mit beinahe strengem Ton auf, herüber zu kommen zum Nachtessen und dem Kind eine Miene zu zeigen, die ja auf keine inneren Kämpfe schließen ließ. Er gehorchte ihr stillschweigend, beinahe demütig. Sie beobachtete ihn während der Mahlzeit beständig und gab auch auf ihren eigenen Gesichtsausdruck, ihre Stimme, ihre Gebärden acht, damit sie nicht von innerem Kummer erzählen sollten. Sobald ihr Gatte während des Essens einmal traurig vor sich hinstarrte, rüttelte sie ihn sofort durch irgend eine heitere Bemerkung wieder aus seiner Melancholie, oder wenn ihr selbst die Tränen allzu heiß in die Augen steigen wollten, erhob sie sich rasch und tat als ob sie dem Dienstmädchen einen Befehl zu erteilen hätte. Trotzdem, bei aller Vorsicht, konnte sie es doch nicht verhindern, daß der scharf beobachtenden Nata das Benehmen der Eltern auffiel. Sie mißte den Klang der Herzlichkeit in den Stimmen, das Ungezwungene im Benehmen der ihr so vertrauten Personen. Das Kind gab nur kleinlaut Antwort und blickte mit scheuverstohlener Besorgnis auf das Elternpaar.
Natas Bestreben ging von diesem Augenblick an dahin, herauszubringen, welches Unheil wie auf düsteren Eulenflügeln durch das Haus schwebte. Nicht aus Neugier forschte sie, nur um helfend eingreifen zu können. Daß sie auf eine Frage keine Antwort erhalten würde, ahnte sie. Deshalb wollte das kleine resolute Persönchen, mochte daraus entstehen was wollte, sich gleich an den Urheber des Familienzwists wenden. Für diesen Urheber mußte sie Otto Grüner halten. Sie ahnte auch, daß es sich um Geldangelegenheiten handelte. Jede Andere hätte die folgenden Nächte in einem Zustand fieberhafter Schlaflosigkeit verbracht. Die sonst so kindliche, wenn es aber sein mußte, äußerst willensstarke Nata jedoch sagte sich: die Nacht zu durchwachen, hat keinen Zweck, macht dich nur unfähig die Leiden des Tags zu ertragen; also, nun befehl ich dir: schlafe! Sie schlief.
Am anderen Morgen sah sie ihrer Mutter an, daß diese nicht geschlafen hatte; auch ihr Vater sah übernächtig, schlaff aus.
Gleich nach dem Frühstück traf sie ihre Mutter allein im Schlafzimmer. Sie blieb einen Augenblick an der Tür stehen und sah ihr zu, wie sie sich anzog.
»Wo gehst du so früh hin, Mama?« fragte sie mit künstlich heiterem Ton.
»Einen wichtigen Gang,« sagte die
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