Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
Mittel – immer noch die Gerichte zu Hilfe rufen.«
Der Künstler nickte traurig. Ohne Gruß, ohne ein Wort weiter, taumelte er dann aus dem Zimmer. Auf dem Hausflur empfing ihn schmetternder Gesang, rollendes Klavierspiel, das aus dem Salon der Familie herüberschallte. Die Töne schnitten ihm weh durchs Herz.
Karl begleitete ihn bis vor die Glastüre. »Nimms nicht so tragisch!« versuchte er noch zu trösten. »Du bist ja doch Theosoph. Es hat so kommen müssen und ist für deine Seelenentwicklung vielleicht notwendig.«
»Das sag ich mir auch,« versicherte Otto gedrückt; »Leiden sollen ja bessern.«
»Nur schlimm,« meinte Karl, »daß solche philosophischen Reflexionen – wie gewisse Heilmittel – im Augenblick da uns der Schicksalsschlag betroffen, wenig nützen; erst wenn der Schlag vorüber, trösten sie die kranken Seelen. Die Tröstungen der Religion wirken, da sie anschaulicher sind, rascher. Übrigens ists sehr die Frage, ob Leiden – bessern? Mich verschlechtern Leiden; sie verbittern mich. Ich gestehe: sie sollten es nicht! Aber mein Charakter ist nun einmal so, und der liebe Gott« setzte er lächelnd hinzu, »sollte darauf ein wenig Rücksicht nehmen.«
Otto seufzte. »Leiden lähmen die Tatkraft; ohne Tatkraft keine Selbsterziehung! Der liebe Gott hat die Welt solange schon versucht durch Züchtigung zu bessern und sie durch Schmerzen zur Liebe zu zwingen, – er hat wenig Erfolg damit gehabt. Er sollte es mal versuchen, seinen Geschöpfen recht viel Glück zu bescheren; vielleicht erreichte er dadurch mehr?«
»Wir müssen halt denken, wie jener persische Dichter:
Ist einer Welt Besitz für dich gewonnen,
sei nicht in Freud darüber! – es ist nichts.
Ist einer Welt Besitz für dich zerronnen.
sei nicht in Leid darüber! – es ist nichts.
Vorüber gehn die Schmerzen wie die Wonnen;
geh an der Welt vorüber! – es ist nichts.«
Karl hatte diese Worte mit solch innigem Ausdruck gesprochen, daß ihm der Künstler erschüttert und wirklich ein wenig getröstet, die Hand reichte. Dann eilte er die Treppe hinab.
Karl konnte nicht mehr zu den Gästen in den Salon zurück kehren. Er dachte nicht an sich, nur an das Schicksal des armen Künstlers. Seine jugendliche Gefühlsweichheit überwältigte ihn. Er warf sich aufs Bett und Tränen rannen aus seinen schwimmenden Augen in seinen jugendlichen Kinnbart hinab, den sein Freund Konrad spottend: einen unausgereiften Matrosenbart nannte.
Seine Mutter schoß in ihrer aufgeregten Weise, den Sohn suchend, ins Zimmer, prallte aber, als sie ihn von einem hysterischen Weinkrampf befallen auf dem Bette liegen sah, erschrocken zurück. Dann kam sie näher und umarmte den Schluchzenden.
»Ja, was hast du denn, armes Kind?« rief sie, mit ihm weinend, »komm doch herüber, die Gäste fragen nach dir. Warum weinst du?«
»Nicht um meinetwillen,« stammelte er, seine Tränen mühsam verschluckend.
»Um wen?« rief sie besorgt. »Ich, deine Mutter darf das doch wohl wissen? Komm sag mirs, – sag mir Alles, was dich drückt.«
»Wenn du mir versprichst, daß Niemand weiter davon erfährt?«
»Keine Seele! Ich schwörs, keine Seele!«
Dann erzählte er ihr den Vorfall. Sie schlug die Hände überm Kopf zusammen.
»Nicht möglich!« rief sie. »Wankt denn heutzutage jede Stütze? Dieser Rechtsanwalt, – den ich für ein Ehrenmann gehalten? Da sieht mans wieder! Das sind die morschen Stützen unserer Gesellschaft. Immer nur rasch reich werden! ideale Güter gibts nicht mehr. Immer nur materiell weiter kommen in der Welt, auch wenn der Nebenmensch dabei zu Grund geht, von unseren Ellbogenstößen. Meyer war immer so ein Lebemann! Und wie schrecklich, daß gerade ein Mann des Gesetzes solche Bübereien verübt! Auf wen kann sich ein ehrlicher Mensch noch verlassen?«
Karl sah diesen Fall wieder von einer andern Seite. »Wie uns doch absichtlich jede schöne Hoffnung im Leben zerstört wird!« rief er. »Es ist wirklich gerade, als sollte uns mit Gewalt die Freude am Leben vergällt, als sollte der böse Lebenstrieb in uns ausgerottet werden. Wie schön hätte dieser talentvolle Künstler zum Nutzen der Welt nun große Werke schaffen können, in seiner behaglichen Villa! Jetzt muß er, nur um leben zu können, Kinderbücher mit schlechten Illustrationen versehen. Und wie doch ein Mensch des anderen Wolf – nicht nur ist, sondern geradezu sein muß! Wenn mans genau überlegt, kann man vielleicht die Handlungsweise dieses Rechtsanwalts entschuldigen.
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