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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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Er mußte vielleicht so handeln; die äußeren Umstände und die eigenen Triebfedern seiner pathologischen Natur zwangen ihn zu seinem Verbrechen.«
    »Ach geh, sag so was nicht!« rief sie in ihrer pathetisch-theatralischen Weise. »Du sprichst dem Menschen den freien Willen ab! Das läuft wieder darauf hinaus, daß es keine Sünde und keine Tugend gibt!«
    »Dein Meister Göthe«, versetzte er, »würde ebenso urteilen. Ich kann mich so sehr in die Seelen Anderer versetzen und aus ihrer Notwendigkeit herausempfinden, daß es weder Gut noch Bös für mich gibt. Das ganze Weltall kommt mir vor wie ein ungeheures Uhrwerk: ein Zahnrad schlägt seine Zähne grausam in die Zähne des anderen, damit das Ganze weiter zum Ziel getrieben wird. Wenn wir nur wüßten, wo die Feder sitzt, um sie zur Verantwortung zu ziehen!«
    Sie hörte nicht mehr auf seine Worte. Die Pflichten der Hausfrau drängten und Karl hatte allmählich im Lauf des Gesprächs seinen seelischen Gleichmut so weit wiedergefunden, daß er der Mutter hinüber zu den Gästen folgen konnte.
    *
    Während sich dies im zweiten Stock des Hauses zutrug, lag im dritten Stockwerk der Rechtsanwalt Meyer wie ein schwer Kranker, bleich, verstört, schwer atmend, auf dem Sopha seines Arbeitszimmers. Emilie schritt geisterbleich auf ihn zu und lispelte tonlos, mit einem furchtbar anklagenden Blick: »Also – ein Betrüger?«
    Der Anwalt, der diesen Blick nicht ertragen konnte, erhob sich ein wenig in den Kissen. »Betrüger?« entfuhrs ihm mit heiserer Stimme, »Ja! aber durch wen? Wer war die geheime Ursache meiner Unterschlagung?«
    »Wie? Was willst du damit sagen?« bebte es von ihren blauen Lippen.
    »Ich will dir nicht weh tun, Emilie,« fuhr er mit zitternder Stimme fort, »ich will auch meine Schuld nicht verringern, – du weißt wie ich dich liebe, du weißt, daß ich dir keine Bitte abschlagen kann; du weißt, wie viel du jährlich verbraucht hast. – Dann kam deine Krankheit, dein langer Aufenthalt an der Riviera. Meine Praxis trug mir soviel nicht ein, – ich bin kein glänzender Anwalt, mein Beruf ekelt mich an! Da – kam der Spielteufel über mich. Ich gewann, – verlor, – verlor alles!«
    »Aber warum hast du mir das nicht gesagt?« unterbrach sie ihn entsetzt, »warum hast du mich schalten und walten lassen? Ein Wort und ich hätte mich eingeschränkt!«
    »Emilie!« flehte er mit zartem Vorwurf in der brechenden Stimme, »wie oft hab ich dir angedeutet: wir müssen sparen! es geht so nicht weiter! – Du hast meinen Wink nicht verstanden, ihn nicht ernst genommen.«
    »Weil ich glaubte, du scherzest! Du hast die Gewohnheit, das Alles in einem so jovialen Ton zu sagen! Wärst du doch rauh und energisch aufgetreten!«
    »Das konnt ich nicht. Ich wollte meinem lieben Kind das Spielzeug nicht zerbrechen. Ich war schwach, Emilie, schwach, aus Liebe. Kannst du mich deshalb verdammen?«
    Er sah ihr mit einem so bittenden Blick in die Augen, daß sie nur zwischen Mitleid und Entrüstung schwankend, die Arme ringend, ausrufen konnte: »Willy, Willy! was hast du getan!«
    »Was ich freilich nicht hätte tun sollen!« stammelte er stöhnend. »Ich hab auch schon . . . sieh her!«
    Er erhob sich mühsam, riß die eiserne Schranktüre auf und zeigte ihr den Revolver. Sie stieß einen unartikulierten Ton des Entsetzens aus, als er die Waffe ergriff und an die linke Schläfe setzte.
    »Glaubst du auf diese Art deine Schuld zu sühnen?« rief sie vorwurfsvoll, ihm den Revolver aus der Hand entwindend, »denk an bessere Mittel!«
    Er ließ sich gutwillig die Waffe abnehmen, denn es war ihm nicht recht ernst mit seinen Selbstmordgedanken. Sie indes hatte das leise Theatralische dieses ganzen Spiels mit der Schußwaffe nicht bemerkt.
    »Sei ein Mann!« fuhr sie fort. »Ertrag das Unglück, das du über dich und deine Familie gebracht, entflieh ihm nicht! Sonst trägt es nicht zu deiner Besserung bei, im Gegenteil, dann ist deine Seele völlig verloren. Ich will dir keine Vorwürfe darüber machen, – du bist gescheit und gewissenhaft genug, um dich selbst anklagen zu können. Auch klag ich mich selbst an. Ich habe blind in den Tag hineingelebt wie ein verzogenes Kind, ich war die geheime Triebfeder deiner bösen Tat. Mir tut nur der arme Otto so leid. Was soll er, der Unpraktische, der Künstler, beginnen? Von seiner Kunst kann er nicht leben . . .«
    »Mein Gott!« stöhnte Meyer, »Otto gehört ja fast wie zu unserer Familie, deshalb schlug mir auch das

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