Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
Mutter.
»Gewiß zum Kommerzienrat?« entfuhrs ihr.
Die Mutter wendete erschrocken den Kopf.
»Wie kommst du darauf?«
Nata nahm eine möglichst gleichgültige Miene an und murmelte: »Ich dacht nur so.«
»Nein, nein,« flüsterte ihre Mutter.
Das Mädchen ging. Sie schlüpfte auf ihr Zimmerchen, machte sich zum Ausgehen fertig und eilte aus dem Haus, direkt nach Ottos Atelier.
Der war gerade aufgestanden und saß dumpfbrütend vor seiner Salome, als es leise an die Tür klopfte. »Herein!«
Als die Tochter seines früheren Vormunds errötend eintrat, schrak er empor. Der Stiefel, den er gerade in Händen hatte, plumpste in die große Waschschüssel, die vor ihm auf dem Fußboden halb unterm Bettrand stand. Noch im Halbschlaf sprang er auf, und trat dabei auf den Rand der riesigen Schüssel; ein Stück des Porzellans brach heraus, eine große Überschwemmung ergoß sich bis zu den Lackstiefelchen des Mädchens.
»Hallo,« rief der Künstler, »das kommt von meiner Kaltwasserkur. Fürchten Sie sich nicht, – turnen Sie nur hier herüber, da am Stuhl vorbei; da ists noch trocken. Ich hab ganz in Gedanken herein gerufen, . . . bin leider noch gar nicht angezogen.«
»O, das macht nichts,« stammelte sie verlegen. »Papa kam auch schon . . .« sie stockte errötend;»Papa ist darin wie Sie. Da hängt übrigens Ihr Arbeitsanzug, – soll ich Ihnen den herübergeben?«
»Ja, – werfen Sie ihn mir nur herüber, . . . so . . . halt! nicht in die Wasserlach! Da! gerade hinein.«
»O weh – jetzt haben Sie nichts anzuziehen?«
»Doch noch Einiges. Warten Sie, – da im Schrank.«
»Wir sind ja beinahe wie Bruder und Schwester,« sprudelte sie hervor, »sonst hätt ich den Gang zu Ihnen nicht gewagt.«
»Freilich, freilich.«
»Vielleicht können Sie sich auch denken, weshalb ich komme?«
»Wirklich nicht. Nur einen Augenblick . . . so, ich zieh mich hinter der offenen Schranktür rasch an. Bin gleich fertig. Reden Sie nur, ich hör alles, wenn ich Sie auch nicht seh.«
»Gewiß ahnen Sie, weshalb ich komme. Sagen Sie mir offen heraus: warum haben Sie meine Eltern in so außergewöhnlicher Aufregung verlassen? Was hat sich zugetragen zwischen Ihnen und meinem Papa?«
Er hielt mitten im Anziehen ein, streckte den roten Kopf hinter der Schranktür hervor und starrte sie mit seinen sonst so drolligen Augen an.
»Deshalb kommen Sie her?« sagte er, trotz des Ernstes der Situation wieder in seine burlesken Körperverdrehungen verfallend.
»Ja!« gestand sie leise.
»So, so, so?« murmelte er in komischem Schmerz. »Tut mir leid! sag so was nicht . . . geht absolut nicht! Erfahren es vielleicht mal ohne mich, armes Kind.« Er trat, seine Hosenträger um die Schultern werfend, hinterm Schrank hervor, reichte dem entsetzt blickenden Mädchen die Hand und stieß in mitleidig burlesken Ton heraus: »Nun deshalb keine Feindschaft nicht! was können Sie dafür? hab Sie immer gut leiden können.« Plötzlich, als er ihr ins Gesicht sah, das sich nun krampfhaft zum Weinen zusammenzog, erwachte ein häßlicher Verdacht in ihm. Er ließ ihre Hand los und starrte sie düster von der Seite an.
»Sind Sie wirklich aus eignem Antrieb zu mir gekommen?« fragte er mistrauisch.
»Wie? ja!« stammelte sie.
»Hat nicht Ihr Papa Sie zu mir geschickt?«
»Was fragen Sie so wunderlich?«
Er sah ihr zweifelnd in das unschuldige bleiche Gesichtchen, mit dem runden Stumpfnäschen und dem mütterlichen jetzt bekümmerten Kinderausdruck.
»Nu, nu,« stieß er barsch heraus. »Kann sein! wills glauben. Trotzdem, besser is besser, – machen Sie, daß Sie wieder naus kommen. Bitte, gehen Sie.«
Sie sah ihn verständnislos an.
Da geriet er förmlich in Zorn. »Bitte!« rief er, riß die Tür mit komischer Würde auf und machte eine zum Hinausgehen einladende Handbewegung. Das begriff sie. Sie nickte, sah ihn ganz verzweifelt an und eilte hastig zur Tür hinaus, die Treppe hinunter.
Dieser Hinauswurf bestärkte sie in der Annahme, daß es sich um eine wichtige Geldangelegenheit handelte, daß die Ehre dabei auf den Spiele stand. Ganz zerschlagen kam sie unten im Hausflur an. Otto hatte ihr einen entsetzlichen Eindruck hinterlassen; sie konnte den Eindruck noch gar nicht fassen. Er litt unsäglich und wollte sich seinen Jammer nicht anmerken lassen. Und sein plötzliches Mistrauen? Warum nur? Wie lautete seine Frage: »Hat Sie Ihr Papa geschickt?« Was sollte das bedeuten? Sie war stehen geblieben im zugigen
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