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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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Haustor. Was wollte er damit sagen? Als sie ein paar Schritte weiterging, stieß sie fast auf Karl, der eben mit seiner Büchermappe um die Ecke bog.
    »Wie?« rief er, »Sie hier? Ich wollte Otto auf n Augenblick besuchen. Steck mitten im Examen! morgen beginnt der schwierigste Teil. Aber wie kommen Sie hier her?«
    Als er nun ihr verweintes Gesicht erblickte, ging er anstatt zu Otto mit ihr die Straße hinauf. Er glaubte, sie wisse jetzt, in welches Unglück Otto Grüner durch ihren Vater gestürzt worden war. Sein Taktgefühl schrieb ihm vor, der Tochter des Betrügers anzudeuten, daß er den Fehltritt des Vaters nicht werde dem Kind entgelten lassen. Er schloß sich aus diesem Grund ihr an und wollte ihr, sobald sich die Gelegenheit bot, ein paar Worte des Trosts zusprechen. Einige Zeit sagten sie nichts. Der Himmel drohte mit Regen, es fielen schon einige Tropfen.
    »Haben Sie auch heut Nacht den Herbststurm gehört?« fing er an. »Nicht wahr, dies Brausen! als ging die Welt unter! Sehen Sie, mich regt das Wetter oft zu dem Gedanken an, daß der Mensch eigentlich von der Erde nur geduldet wird. Ist es nicht, als ob Stürme, Sintfluten, Erdbeben, Gewitter, Vulkanausbrüche dem Menschen täglich predigen: erbärmlicher Wurm, du glaubst, ein liebender Vater hätte dir auf mir, deiner Mutter, eine feste, sichere Wohnstätte bereitet? Lächerlicher Eigendünkel! Meine Mutterbrust bebt, – und du fliegst davon! Ich liebe dich durchaus nicht, hasse dich auch nicht, – du bist mir höchst gleichgültig.«
    Natalie murmelte ein paar Worte. Dann schwiegen sie wieder beide.
    Nach einiger Zeit fragte er: »Sie waren bei Otto?«
    Sie nickte.
    »Ja, ja,« murmelte er; »schlimme Sache!«
    Jetzt merkte sie, daß auch Karl davon wußte und suchte nun mit der Schlauheit der Verzweiflung herauszubringen, was ihr allein noch verborgen war.
    »Ja, ja,« flüsterte sie, »schrecklich, schrecklich.«
    »Haben Sie ihn gesprochen?« fuhr der junge Mann fort.
    »Ja.«
    »Wie fanden Sie ihn?«
    »Ja, – wie man in solchen Umständen halt sein kann.«
    »Tief niedergeschlagen?«
    »Sehr, sehr unglücklich.«
    »Das kann man sich wohl vorstellen,« sagte Karl arglos; »wenn man so leidend ist und verliert sein ganzes Vermögen.«
    Nun hatte sies herausgebracht. Nur noch ein Hoffnungsschimmer leuchtete ihr; sie wußte, daß man auch durch eine schlechte Kapitalanlage, durch sinkende Papiere, sein Vermögen einbüßen kann. Vielleicht war also ihr Vater nur ein ungeschickter Geschäftsmann gewesen, kein unehrlicher! Ihre ganze Kraft zusammenraffend, sagte sie: »Ach Gott, Sie wissen ja . . . die Staatspapiere fallen oft plötzlich. Ich weiß nicht, warum? sie haben aber oft diese schlechte Angewohnheit. Mein Papa hatte, glaub ich, zu viel in . . . in Chinesen angelegt? oder . . . ich weiß nicht . . .«
    Nun stieg in Karls Seele, als er diese, wie er glaubte, beschönigende Verteidigung des Verbrechens vernahm, ein heftiger Ärger, vermischt mit Mitgefühl für Otto auf.
    »Nein, Fräulein,« stieß er mit bitterem Vorwurf, sich vergessend, heraus, »so wars nicht; mein armer kranker Freund ist völlig ruiniert . . .«
    »Wie?« fragte sie entsetzt, »ist gar nichts mehr da?«
    Er blieb stehen. Der jähe Ton ihrer Stimme fiel ihr auf. Er sah sie an, – ihr Blick! Ihm begann zu grausen. Nun wankte sie und griff sich mit der kleinen Hand krampfig nach der Herzgegend.
    »Was ist Ihnen?« rief er und stützte sie rasch mit dem rechten Arm. »Ja – wissen Sie denn nichts?«
    Sie fiel halb bewußtlos an seine Brust. Mit Mühe zog er sie, um die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden nicht auf sie zu lenken, in die nächste Torhalle. Von da führten drei Stufen in eine kleine Weinkneipe »Zur Odinshütte«. Er stieß mit der linken Hand die Türe auf, während er mit dem rechten Arm die halb Ohnmächtige umfaßt hielt.
    Die Kellnerin, die ihn bemerkt hatte, half nach. Bald saß er mit dem Mädchen an einem der Tische des düsteren Lokals. Sofort ließ er zwei Gläser Wein kommen. Dann entschuldigte er sich.
    »Verzeihen Sie mir,« sagte er, seine Tränen unterdrückend. »Ich vergaß ganz, wen ich neben mir hatte, . . . mit wem ich sprach. Ich dachte im Augenblick nur an Otto; mir geht es oft so, daß ich nicht objektiv genug empfinde. Jetzt da es mal so weit ist, können wir ja ganz offen reden. Ich betrachte die menschlichen Fehler als Naturwissenschaftler. An sich ist nichts gut oder bös; jeder Mensch muß so handeln wie er

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