Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
Namen in die rechte Ecke, so weiß Jeder, daß dies ein modernes Werk ist.«
Kaum hatte sie ihren Namen hingemalt, so riß ihr der Geschäftsmann die künstlich alt gemachte Holztafel aus der Hand, warf ihr 200 Mark auf den Tisch und stürmte davon.
»Mir ists gleich, was er mit dem Ding anfängt,« sagte sie zu Luise. »Ich hab meine Schuldigkeit getan, du kannsts beschwören, daß ich meinen Namen in die Ecke gemalt habe. Wenn er ihn etwa wieder wegkratzt, bin ich unschuldig daran!«
»Aber du solltest doch so etwas nie mehr tun,« meinte die Freundin.
»Tu ich auch nicht mehr!« sagte sie. »Mir ist auch jetzt nicht wohl bei der Sache; der Händler soll mir nie mehr ins Haus.«
Nichts desto weniger hatte sie nach wenigen Tagen hinterm Rücken Luisens wieder einen kleinen unechten Niederländer fertig gemacht. Diesmal ließ sie ihren Namen weg, setzte aber auch keinen andern dafür hin. Es war einfach das Bild eines unbekannten alten Meisters. Der Kunsthändler sah die Arbeit, zahlte reichlich und verschwand. Sie täuschte sich durchaus nicht über den Sachverhalt, denn sie wußte gewiß, daß ein Amerikaner eins dieser Bilder um eine große Summe erworben hatte.
Durch diesen Erfolg entstand nun in Emmas Seele ein unwiderstehlicher Drang, noch mehr solcher unechten Altertümer zu malen. Sie besuchte die verschiedenen Gemäldegallerien der Stadt, lernte von den alten Meistern und entwarf wenigstens im Geist allerlei Bilder. Es war nicht blos Gewinnsucht; es hatte für sie einen außerordentlichen Reiz, sich in die altertümliche Empfindungs- und Malweise zu versetzen. Sie fühlte sich dabei der Zeit entrückt, wunderbare Stimmungen beschlichen sie.
Doch waren es nicht immer Triumphe, was sie durch ihren Schwindeltrieb erlebte; auch Niederlagen fehlten nicht, die sie aber sehr leicht nahm. So bei der Klatschgeschichte über Otto Grüner.
Als sich nach ein paar Tagen Luise bei Otto erkundigte, ob er jemals mit seinem Modell Leontine intimeren Verkehr gehabt und das Mädchen ins Unglück gestürzt habe, erklärte der Künstler, er kenne gar kein Modell dieses Namens. Emma ward darüber zur Rede gestellt; Otto war entrüstet und sprach von Ehrabschneiderei, Verklagen, Verleumden! Da gab dann Emma lachend zu, sie habe die ganze Geschichte erfunden, um sie in ihrem neuesten Roman zu verwerten; sie habe nur einmal prüfen wollen, welche Wirkung sie beim Erzählen dadurch erreichen könne. Es sei ihr sehr interessant gewesen, die Entrüstung Ottos zu studieren.
Der Künstler verbat sich indes solche Vivisektionen.
Karl, der zu diesem Auftritt kam, nahm Emma lebhaft in Schutz: sie sei ein Opfer ihrer Phantasie, es liege etwas Großes in der Art, wie sie mit den Menschen gleichsam experimentiere; man müsse einem solchen Talent dergleichen Geniestreiche verzeihen.
Otto dachte nicht so: er nannte Emma eine hysterische Lügnerin. Karl warf ihm vor, wenn er so denke, sei er kein Künstler. Der echte Künstler habe eine Lust am Aufschneiden und Mystifizieren.
Beide kamen hart hintereinander und trennten sich im Zorn.
17.
Es brütete heute ein grauer müder Regenhimmel über der Stadt, dessen öde Nachmittagsnüchternheit dennoch eine gewisse eigenartige poetische Stimmung in uns hervorruft, die melancholische Stimmung der Lebenslangweile, des Alltagselends.
Der Zufall – oder Schicksalsfügung – hatte es gewollt, daß an diesem Regenmittag, als Emma Dorn auf der Plattform des elektrischen Trambahnwagens stand, mit ängstlicher Hast Herr Direktor Körn, um sich vorm Regen zu schützen, auf denselben Wagen sprang. Wie das oft zu geschehen pflegt, bemerkte er das Fräulein erst, nachdem er sich, um seinen Büchern unterm Arm mehr Luft zu verschaffen, in dem Menschenknäul ein wenig herumgedreht hatte. Er grüßte ganz bestürzt; sie grüßte ebenfalls nicht ohne Beklommenheit.
»Entsetzliches Gedräng!« bemerkte er geistreich, was sie durch eine ähnliche Bemerkung errötend bestätigte. Er suchte nach einem schönen mythologischen Vergleich, in Folge seiner mißlichen Lage oder seiner gelinden Verlegenheit wollte ihm indes kein poetisches Bild einfallen und er mußte es nach einiger Zeit aufgeben, vor dem Fräulein als geistreicher Gelehrter zu glänzen. Neben ihr stand halb verquetscht ein kleines Kind, das beständig schrie und mit den Beinen strampelte. Neben ihm hing eingeklemmt ein angetrunkener zwischen Schlafen und Wachen kämpfender älterer Arbeiter, dessen rotangelaufener Kopf sich allmählich immer
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