Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
Fräulein!« verteidigte er sich, »ich bin kein Philister! ich möchte die Welt gern erlösen von Sittenzwang und Formelwesen, wie unser edler Platen sagt. Aber leider kann ich als Einzelner, noch dazu in einem solchen Beruf, nur ein sehr geringes Scherflein beitragen zur Erlösung des Menschengeschlechts von der mittelalterlichen Dunkelkammer, in der die staaterhaltenden Gesetzes-Bilder bekanntlich heute bei rotem Licht entwickelt werden.«
»Bei rotem Licht ist gut,« lachte sie.
»Also,« setzte er lächelnd hinzu, »besuchen Sie mich bald und lesen Sie mir Ihre neue Arbeit vor. Ich werde Ihnen gern dabei helfen, wo ich kann.«
Er hatte galant ihre kleine Hand an die Lippen geführt. Er gefiel ihr in seinem jugendlichen Enthusiasmus außerordentlich, als er ihr ganz traumverloren in die Augen blickte.
»Mein sehnlichster Wunsch wäre eine Reise nach Griechenland!« sagte sie. »Sobald ich einmal ein größeres Honorar erhalte, reise ich nach Athen.«
»Sie Glückliche!« seufzte er. »Aber ich will Ihnen was sagen: als ich hier studierte, brachte mir mein Studiengenosse, der Athener Hafzidakis, das Neugriechische bei . . .«
»Wie? Sie können Neugriechisch?«
»Ja. Ich habe ein besonderes Sprachtalent; ich lernte in einem halben Jahr gewandt neugriechisch sprechen. Wenn Sie wollen, geb ich Ihnen Unterricht.«
»Und wie gern!« frohlockte sie, »zwar . . . lerne ich fremde Sprachen nicht leicht . . .«
»Das gibt sich!« meinte er.
Sie rief: »Ja, ich bin so begeistert für dies herrliche Land, daß ich hoffe: die fremden Laute fliegen mir nur so ins Gedächtnis!«
»Aber nun muß ich in die Schule,« sagte er, sich von ihrem Anblick losreißend. »Noch zehn Minuten bis Zwei.«
Sie lachte: »Wie? so wollen Sie fort? Ohne Rock?« Er sah sich verwundert um.
»Ja so! wo war ich denn!« scherzte er, ihr mit dem Finger drohend. »Bei allen Göttern, ich weilte bei Circe! Zeigen Sie her, ist der Ärmel jetzt trocken?«
Sie holte den Rock aus der Küche, wo er in der Nähe des noch warmen Herdes gehangen.
»So ziemlich,« sagte sie, das Futter befühlend.
»Sollt ich nicht lieber nach Hause fahren und mich umkleiden?« überlegte er sinnend.
»Nicht nötig!« meinte sie.
»Nicht? Nun ja . . . geben Sie den Rock. – So! nun bin ich wieder der Schulmeister. Nun schlag ich wieder die Helden des Homer tot! Ach Fräulein! – ›das Beste was du wissen kannst, darfst du den Jungen doch nicht sagen!‹ Ja, sehen Sie, wenn wir so alles was wir auf dem Herzen haben, der Jugend beibringen dürften! ah, da wärs eine Lust Bildner der Jugend zu sein, aber . . . so? brrr!« Er schüttelte sich lachend.
Sie lächelte melancholisch: »Ihr Amt wird Ihnen zuweilen schwer?«
Er sagte bedeutungsvoll: »Haben Sie nicht schon weit mehr gebildete Männer kennen gelernt, die einen wahren Haß gegen ihre Schulerziehung und ihre Lehrer im Herzen tragen, als solche die mit Hochachtung oder gar Liebe von ihren Lehrern reden?«
»Sie haben recht!« bestätigte sie; »es ist erstaunlich wie gerade bei den Höherbegabten eine Abneigung herrscht gegen alles was Schulmeister heißt.«
»Nun,« meinte er, »das muß doch seine Gründe haben?!«
Dabei hatte Emma freilich ein wenig die Empfindung, als ob er, um ihr zu gefallen, seine freisinnigen Ansichten über das Erziehungswesen mit übertriebener Stärke hervorkehre. Reden, dachte sie im Stillen, ist leichter als Handeln. Doch diese seine leise Koketterie mit modernen Grundsätzen schmeichelte ihr; er gefiel ihr sehr gut in seiner lebhaften Erregung, die ihm die Wangen rötete und das schon an sich lebhafte Auge noch heller aufblitzen ließ.
Es ward ihm nicht leicht, sich von ihr zu verabschieden. Das ganze bescheidene Zimmerchen hielt ihn fest; das rebenumrankte Fenster, der Waschtisch mit dem Becken, das einfache Bett mit den rot durch den Überzug leuchtenden Kissen. Es überdrang ihn eine Art Faust-Gretchen-Stimmung. Er trat dann in das helle Arbeitszimmer des Fräuleins.
»Ah, das ist der Pult,« sagte er lächelnd, einen einfachen schon von des Lebens Stürmen mitgenommenen Schreibtisch betrachtend, »auf dem Ihre unsterblichen Werke entstehen?«
Wie anheimelnd ihm diese dürftigen Möbel, diese verblaßten Überzüge und Kissen vorkamen. Ihm war, als sei er schon oft hiergewesen. Ein poetischer Duft zitterte über diesen Photographien bekannter moderner Schriftsteller, die mit welken Lorbeerblättern von ihrer pietätvollen Hand umrahmt, auf einem
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