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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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tiefer herabsenkte, um auf der Schulter des ehrwürdigen Schulmonarchen eine Stütze zu suchen. Der Direktor deutete dem mit Mühe das Lachen unterdrückenden Fräulein durch resignirte himmelwärts flehende Dulderblicke an, wie unsäglich widerwärtig ihm das allzunahe Antlitz des Betrunkenen sei. Nun begann der Wagen heftig zu schwanken, so daß es unter den zusammengepreßten Fahrgästen eine kleine Verschiebung gab. Auf einmal war Emma mit Gewalt gegen seinen Körper hingepreßt, so daß er sich sehr verlegen entschuldigen mußte, ihr Unbequemlichkeiten zu verursachen. Mit sehr verdrießlicher Miene schalt er auf die drangvoll fürchterliche Enge, die ihm doch eigentlich recht willkommen war; denn das passirte dem früheren großen Weiberverehrer nicht alle Tage, daß ein so reizendes Weibernäschen ihm aus allernächster Nähe ins Gesicht atmete. Ihr Atem berauschte ihn, – seine Nase war höchstens drei Zentimeter von ihren rosigen Lippen entfernt. Es zog ihn magnetisch zu ihr hin, als seien ihre Lippen ein Rosenabgrund in den er sich unbedingt stürzen müsse und es erwachte in seiner Schulmeisterseele die alte Studentenromantik, der Traum der seeligen Burschenzeit mit ihrem Idealismus, ihrem verwogenen Ulk. Ein neuer Ruck des Wagens, dann ein Schaukeln und ehe er sichs versah, hatte er dem schönen Fräulein auf die große Zehe getreten, was sie durch ein erschrockenes Au dankend quittirte. Er entschuldigte sich entsetzt, sie lächelte höflich: »Hat nichts zu sagen!« während sie die schmerzende Zehe am andern Fuß reibend, dachte: hat der Herr etwa einen Pferdehuf im Stiefel verborgen?
    Nun hielt der Wagen. Ein Fahrgast der aussteigen mußte, quetschte sich gewaltsam durch die andern, wodurch der beneidenswerte Direktor so dicht an Emma hingedrückt wurde, daß ihm ein wonniger Schauer über den Rücken rieselte. »Es ist gerade wie in einem zu engen Ballsaal«, flüsterte er, dem Hören und Sehen verging.
    »O ja!« stöhnte sie.
    »Hier kann Niemand mehr herauf!« beschwerte sich der Schulmann, als nun eine enorm dicke Bierbrauersgattin die Plattform besteigen wollte. »Ah! das geht doch nicht . . . Jetzt ist mir auch noch mein Billet davongeflogen! – Schaffner, muß ich noch einmal zahlen?« setzte der gewissenhafte Pedant hinzu.
    Als der Wagen wieder in Bewegung kam, wachte der betrunkene Maurer auf, preßte stöhnend beide Hände auf den Mund und bestrebte sich das Geländer der Plattform zu erreichen. Der ahnungsvolle Direktor bemerkte an den verzerrten Gesichtszügen des Menschen, daß ein Unheil im Anzug war. Angstbeklommen wollte er dem Bekaterten ausweichen, – es ging nicht! und ehe der vom Schaukeln des Wagens völlig seekrank Gewordene noch den Rand des Wagens erreichen konnte, – explodierte die Bombe! Mit einem aus tiefster Seele aufsteigenden Ach- und Wehlaut entlud sich der ganze Mageninhalt des Betrunkenen in den Rockärmel des armen Schulbeherrschers. Allgemeines Schimpfen, Fluchen, Jammern! die Taschentücher flogen. So war dem Direktor seine bierfröhliche Studentenzeit noch deutlicher vor Augen geführt.
    Man leistete dem schwer Besudelten die erste Hilfe, doch sah man bald, daß durch Betupfen mit Taschentüchern der Schaden nicht gut zu machen sei; denn da der Direktor gerade den Arm gesenkt hatte, war ihm der Erguß bis an den Ellbogen durch Manschette, Oberhemd und wollenes Unterhemd gedrungen.
    »Was soll ich beginnen?« klagte der Verunreinigte. »Ich kann doch in diesem Zustand nicht vor meine Klasse treten!«
    Der Wagen hielt.
    »Wissen Sie was, Herr Direktor?« erklärte ihm die mitleidige Emma. »Ich wohne gleich hier; kommen Sie mit, ich wasche Ihnen die Stelle aus, sonst ist Ihnen der ganze Überzieher ruiniert.«
    »Ach, das wär eine Rettung!« rief der besudelte Schulmeister erfreut. »Nur um Gotteswillen diese ekelhafte grüngelbe Feuchtigkeit vom Leib! mir wird ohnmächtig, ich falle fast um! Nach Hause kann ich nicht mehr, dazu reicht die Zeit nicht, – so bin ich Ihnen für Ihren Vorschlag sehr dankbar!«
    Bald hatten die Beiden die ganz in der Nähe liegende Wohnung erreicht. Es war etwas über halb zwei Uhr, so daß noch Zeit war, um den Schaden mit Ruhe und Vorsicht auszubessern. Als sie den dunkeln Torweg durchschritten, klopfte dem an solche Abenteuer längst nicht mehr gewöhnten Direktor das Herz. Doch im Gefühl, daß kein billig Denkender es ihm verübeln konnte, diese freundliche Einladung angenommen zu haben, schritt er dem hold errötenden

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