Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
unerwiderten Liebe ihm versüßte.
Gerade als er sich verabschieden wollte, schellte es an der Vorplatztüre. Luise öffnete. Es war wieder einmal Nata, diesmal aber nur um die Klavierstunde abzusagen. Das arme Mädchen hatte einen herben, strengen Ausdruck um den sonst so kindlichen Mund.
Karl schloß sich ihr wieder an, als sie ging. Er bezeugte sich sehr ritterlich gegen sie, suchte sie aufzuheitern, und legte ihr in jeder Weise seine hohe Achtung vor ihrem Unglück und der Art wie sie es trug an den Tag. Sie klagte, daß ihr das Schreiben auf der Maschine Kopfschmerzen verursache.
Heute mußte sie auf einem großen Schreibebüro arbeiten. Aus allen Zimmern der Wohnung rasselten und klapperten die Maschinen. Ein Schriftsteller, den sie bei Emma schon einmal gesehen, Herr Schnätz, kam und diktierte ihr ein Drama. Da hieß es aufpassen! Diese stundenlange Anspannung der Nerven wurde ihr zur Höllenqual; aber sie wollte aushalten, sie wollte ihr Brod selbst verdienen, nicht dem Vater zur Last fallen, der selbst mit dem Leben schwer zu ringen hatte und halbe Tage lang auf seiner Kanzlei saß, ohne daß sich ein Klient meldete.
18.
Wenn jetzt Kommerzienrat Weihals zu Meyers kam, war er nicht mehr derselbe wie früher. Selbst die naive Nata hatte das Gefühl, als ob der reiche Mann oft eine gewisse gönnerhafte Unverschämtheit und Befehlshaberei an den Tag lege. Er tadelte mehr als je, war oft verdrossen, fast brutal, und Meyer ließ sich dies abscheuliche Benehmen gefallen.
Der Rechtsanwalt war stets sehr niedergeschlagen; er beobachtete oft seine Frau mit ganz seltsamen Blicken und sie wußte auch wohl, welcher Verdacht im Herzen ihres Mannes aus dem unverschämten Benehmen des Kommerzienrats immer neue Nahrung sog. Es kam dem Rechtsanwalt vor, als ob Emilie den Mann nicht mehr mit der pikanten Delikatesse wie früher zurückweise, ja keinen Widerstand mehr entgegensetze. Wirklich aber gab sie sich redlich Mühe; ja schließlich bat sie den Kommerzienrat, ihre Wohnung nicht mehr zu betreten. Doch der Rechtsanwalt hatte sich in seine eifersüchtigen Vorstellungen so tief hineingearbeitet, daß er nun erst recht an ein Einverständnis der Beiden glaubte. Sie wollen keinen Verdacht erregen! meinte er; sie wollen sich nur außerhalb des Hauses treffen!
Eines Abends kam der Kommerzienrat trotz des Verbots. Emilie saß am Klavier. Weihals stand hinter ihr. Er hatte heute wieder einmal eine sentimentale Anwandlung, die häufig bei ihm mit brutalem Protzentum abwechselte. Ein kühler Herbstregen besäte die Fenster wie mit Tränen, eine trübselige Dämmerstimmung brütete über den Möbeln, als fühlten sie die Misstimmung in der Familie trauernd nach. Auch die weiße Niobe auf dem gelben Porzellanofen sandte verzweifelte Blicke nach der unschön bemalten Zimmerdecke empor. Emilie empfand die Abhängigkeit von Weihals schmerzlicher denn je; am liebsten hätte sie ihn aus dem Zimmer gewiesen. In seinem Benehmen zitterte wieder eine unheimliche Annäherungssucht, die ihr ganz widerwärtig vorkam. Sie hatte sich einmal erlaubt, schroffer gegen ihn zu sein, da hatte er ihr Undankbarkeit vorgeworfen: jetzt habe er seine Schuldigkeit getan, jetzt könne er gehen!?
»Sie wollen mich doch nicht unglücklich machen!« sagte sie einen Akkord anschlagend; »deshalb bitt ich Sie, kommen Sie nicht mehr. Mein Mann hegt Verdacht, – er traut Ihnen so viel Edelmut nicht zu.«
»Aber Frau Rechtsanwalt,« flehte er, »s ist mer zum Lebensbedürfnis geworde Sie zu sehen.« Er beugte sich mit Tränen in den Augen zu der Sitzenden nieder, ergriff ihre auf den Tasten ruhende Hand und drückte einen Kuß darauf.
In diesem Augenblick öffnete sich die Türe und Willy, der draußen schon gelauscht, trat ein. Weihals fuhr in die Höhe.
Der Anwalt tat, seinen Grimm verschluckend, als habe er nichts bemerkt. Er brachte das Gespräch auf gleichgültige Dinge . . . Musik . . . das schlechte Wetter. Weihals merkte, daß der Anwalt verstimmt war und entfernte sich bald.
Kaum war er gegangen, so fuhr der Anwalt wütend seine Frau an: »Nun? leugnest du jetzt noch, daß der Kommerzienrat ein Äquivalent erhalten für die zwanzigtausend Mark?«
Sie erhob sich vom Klavier.
»Ich meine, wir hätten genug Elend,« sagte sie scheinbar ruhig und schloß den Deckel des Flügels, daß es laut in den Seiten nachdröhnte; »du hättest nicht nötig, dich mit so einem lächerlichen Verdacht herumzuquälen.« Ihre Miene war schmerzlich verzogen,
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