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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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zu spät. Emilie sprach fast kein Wort mehr, aß fast nichts mehr, versank täglich tiefer in einen düsteren Traumzustand.
    Karl besuchte sie oft. Er saß dann am Klavier, während sie am Fenster nähte. Ihm war diese Schwermut der reizenden Frau äußerst sympathisch; sie weckte geheime Saiten in ihm. Er suchte den Samen des Pessimismus in ihr verdüstertes Herz zu streuen, was ihm auch gut gelang.
    Zuweilen kam dann Natalie herüber. Auf dem Schreibebüro hatte sie es nicht ausgehalten. Sie mußte dort ohne Unterbrechung von Morgens acht bis zwölf und zwei bis sieben Uhr »tippen«, was ihr schließlich heftige Rückenschmerzen zuzog. Besonders nervös machte sie das Diktieren. Nun hatte sie zu Hause Arbeiten übernommen. Ihr Vater hatte seine Münzsammlung für sechshundert Mark verkauft und für diesen Erlös der Tochter eine Schreibmaschine angeschafft. Nun waren oft Reparaturen nötig; sonst verdiente sie ganz hübsch damit. Karl hatte sich bereits eine Novelle von ihr abschreiben lassen, dann eine kleines Lustspiel, das er an die Bühnen versenden wollte.
    Natalie merkte von dem neuen zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter ausgebrochenen Konflikt nur wenig. Daß ihre Mutter schwermütig geworden war, konnte sie nach dem Vorgefallenen leicht begreifen. Karl mußte die stille Art, mit der das Mädchen die Mutter aufzuheitern suchte, bewundern. Die Mutter war oft so überreizt, daß sie das Tageslicht nicht vertrug und daß sie ihr eigenes Kind nicht mehr um sich sehen konnte.
    Den Vater behandelte das Mädchen auch eigenartig. Sie tat als hätte sie von seinem Fehltritt keine Ahnung. Wenn er nun oft (was sonst nie geschehen war) mit einem Rausch aus dem Wirtshaus nach Hause kam, paßte sie ihn ab und öffnete ihm die Glastüre, so daß er sich vor ihr schämen mußte. Vorwürfe machte sie ihm nicht, sie deutete nur durch einen traurigen Gesichtsausdruck leise an, wie niedergeschlagen sie über sein Verhalten war.
    Am Abend ließ er sich meist Wein holen. Dann begann er, um zu vergessen, mehr als er vertragen konnte zu trinken. Sie redete ihm sanft zu, wenn er noch eine weitere Flasche begehrte, keine mehr zu trinken, sich zu Bett zu legen. Manchmal nahm sie ihm auch heimlich, während er redselig von seinen Münzen erzählte, die Flasche weg. Dann glaubte er im halben Rausch, er habe sie bereits geleert und ging zu Bett. Es tat ihr sehr leid, daß der Vater seine Münzen so schmerzlich vermißte. Von diesen erzählte er, besonders im Wirtshaus im angetrunknen Zustand, oft lange Geschichten, vergoß sogar zuweilen Tränen, wenn ihm ihr Verlust stärker zu Herzen ging. Dann sprang er plötzlich von diesem Thema ab und beklagte die Untreue des Geldes und des Weibs im Allgemeinen. Manchmal drängte es ihn dämonisch den Wirtshausgästen seine Veruntreuung und die Wiedererlangung des Geldes zu berichten. Mit stammelnder Zunge klagte er sich selbst an: »Was bin ich für ein schlechter Kerl! o meine Herrn, Sie wissen garnicht, mit wenn Sie verkehren. Ins Zuchthaus gehört son Kerl! Aber der Kommerzienrat . . . Respekt! edler Charakter!« Als er später selbst merkte, daß im Wein allzuviel Wahrheit steckte, ging er nicht mehr ins Wirtshaus, trank aber dafür desto mehr heimlich auf seinem Zimmer.

    19.
    Endlich hatte Karl sein Maturitätsexamen mit Nummer 1 bestanden. Den Vater freute des Sohnes Fleiß und Glück ungemein, doch ließ er sichs nicht merken. Er reichte ihm zu Hause nur die Hand und sagte: »Das ist besser abgelaufen als ich dachte! Was willst du studieren?« Karl entschied sich für alte Philologie. Nun lagen noch herrliche Ferien vor ihm, die er recht durch Spaziergänge in Wald Flur und am Fluß hin ausnützen wollte. Nebenher schrieb er an einem Lustspiel.
    Heute besuchte Emma gegen Abend den Direktor Körn; sie brachte ihm ihr Romanmanuskript. Er empfing sie sehr zuvorkommend, mit einer gewissen altväterischen Galanterie. Er hatte soeben einen Stoß Aufsatzhefte durchgesehen und war nun froh diese trockne Beschäftigung mit einer unterhaltenderen vertauschen zu können. Sie las ihm sogleich das erste Kapital des noch unvollendeten »Sokrates« vor. Und er war sehr befriedigt. Außer einigen Irrtümern über den griechischen Götterkultus und einige Stylungleichmäßigkeiten hatte er nichts zu tadeln.
    Dann zeigte er ihr in einem kulturhistorischen Werk bildliche Darstellungen aus der griechischen Mythologie und hielt dabei einen ziemlich gelehrten Vortrag über die Entstehung einiger Sagen.

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