Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
Büchergestell prangten. Wie nett sich das silberglänzende Teegerät ausnahm, aus dessen Tassen eine gelbe Zitrone glänzte! An den Wänden sah er einige gute Landschaften, von befreundeter Künstlerhand gestiftet; ein eleganter alter Rauchtisch für Herrenbesuche prunkte in der Nähe des ausgesessenen Sofas, kurz, den Direktor mutete es wie aus uralten und doch ewig jungen Märchen-Chroniken an. »Und hier,« sagte er gerührt, »besuchen Sie die Musen? hier küßt Apoll seine Sappho? In dieser friedlichen Stille, umgeben von diesen alten Möbeln in dem rebenumsponnenen Gartenhäuschen, – hier würde, glaub ich, auch mein vertrocknetes Schulmeistergehirn wieder poetische Blüten treiben. Sie leben so überaus einfach dahin, – Sie sind dennoch zu beneiden.«
»O, zu beneiden?« klagte sie. »Nein.«
Ihn überschlich eine stärkere Rührung. Weiterfragen mochte er nicht. Es mußte wohl oft große Ebbe in der Kasse der beiden Mädchen herrschen. Diese Armut erhöhte ihm nur den Reiz dieses Dichteridylls.
Endlich riß er sich los und ging. Eine Viertelstunde früher hätte er seinen Sohn Karl mit finsterem Gesicht um die Hausecke stürmen sehen können.
Karl hatte Emma, ehe er zur Schule ging, besuchen wollen. Gerade als er an der Haustüre die Hand zum Läuten erhob, fiel sein Blick durch das Fenster des Schlafzimmers. Wie angewurzelt, blieb er stehen, – sein Vater? Ohne Rock? in Hemdärmeln bei Emma Dorn? Unmöglich! Du träumst! Er schloß die Augen, öffnete sie wieder langsam . . . Nein! das war Wirklichkeit. Durch die dunkeln Scheiben schimmerten verschwommen die Gestalten der Beiden . . .
Er stürmte davon! Jetzt hatte seine Seele auf einmal was sie brauchte; eine wuchtige, verzehrende Leidenschaft . . . Seine Neigung zu Emma ward durch seine grimmige Eifersucht aus dem Unbestimmten in Gewißheit verwandelt, die leichte Lyrik seiner Liebesgefühle ward zum wuchtigen, handlungsreichen Drama. Dann wachte er wieder, als er durch die trambahndurchdröhnte Straße eilte, aus seinem Taumel auf. Machst du dir nicht selbst etwas vor? Woraus schließest du daß er sie liebt? oder sie ihn? Suchst du nicht förmlich in blinder Selbstzerstörungswut nach einem Grund, Beide hassen zu dürfen?
Gleich nach Schulschluß eilte er zu Emma. Er deutete ihr an, daß er sie habe vor der Schule besuchen wollen; es sei ihm jedoch vorgekommen, als ob ein fremder Herr bei ihr gewesen sei.
»Der fremde Herr war Ihr Vater,« sagte sie heiter.
Er stellte sich erstaunt. »Mein Vater?«
»Ja!« – und nun erzählte sie ihm, ein wenig errötend, den ganzen Vorfall. Auch fügte sie hinzu: »Ihr Herr Vater hat mir versprochen, mir an meinem Roman aus der altgriechischen Geschichte zu helfen.«
»So?« sagte er trocken. Sie beobachtete ihn. Keine Miene in seinem jugendlichen Greisenantlitz verriet, was in seiner Seele vorging. Eher nahmen seine Züge noch einen professoraleren Ausdruck an.
»Dann werden Sie uns wohl oft besuchen?« fragte er mit erzwungener Gleichmütigkeit.
»Gewiß!« sagte sie, froh darüber, daß er die Sache so leicht nahm. »Ich komme morgen abend zu Ihnen.«
Er nickte mit finster-stolzer Miene.
Ihr gefiel dieser knabenhafte Trotz; sie dachte: er überwindet seine Neigung für mich rasch. Indessen irrte sie sich. Er brütete über den seltsamen Zufall nach, der den Vater in die Wohnung Emmas geführt.
»Mein Vater,« sagte er jetzt, »hätte eigentlich auch gerade so gut nach Hause gehen und seine Kleider wechseln können,« meinte er.
»Es war keine Zeit mehr!« versetzte sie.
Er zuckte die Achseln und lächelte bitter. »Keine Zeit! Nun, der Direktor braucht nicht vor halb drei Uhr zu kommen.«
Beide schwiegen. Dann sagte er, um den peinlichen Eindruck seines Mistrauens zu verwischen: »Nun ja . . . ich freue mich, daß Sie so gut mit ihm stehen.«
»Ihr Vater kann sehr liebenswürdig sein!« versetzte sie. »Er hat mir sehr gut gefallen und ich hoffe, meine nähere Bekanntschaft mit ihm bringt Ihnen Segen. Ich werde ihm die Augen öffnen über Sie. Sie werden ihn lieben lernen.«
Er nickte. Er nahm sich vor, die Beiden zu beobachten und sich seine Eifersucht unter keinen Umständen anmerken zu lassen. Er wollte Beide in völlige Sicherheit wiegen, um sie dann desto effektvoller entlarven zu können. Dieser Plan hatte etwas Theatralisches, was seiner jugendlichen Phantasie ungemein wohltat, ihn vor sich selbst interessant machte, ja sogar die Schmerzen der Eifersucht und der
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