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Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)

Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)

Titel: Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Post
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vergiftet! Jedenfalls schmerzt sein Magen, und die weiße Kammer fängt an zu schwanken. Auf den Bildschirmen lösen Grinsefratzen die simplen Animatics ab. Das knarrende Bett schwebt schwerelos hoch über dem Olympus Mons, tief unten sieht Kerbil den Kegel des größten Vulkans des Sonnensystems. Er ragt über 600 km empor, folglich muss Kerbil sich in einer noch größeren Höhe befinden. Terraforming hin oder her –
hier ist kein Sauerstoff, und Kerbil hält die Luft an. Weit unten erahnt er die Lichter von Olympus City. Der Fußboden der Kammer ist verschwunden.
Kerbil bedauert, dass er seine Schuhe nie wiedersehen wird, die dort standen. Er schwebt ungern auf Socken durchs Weltall, denn das scheint keine geeignete Kleidung im Vakuum des Kosmos zu sein.
Es dauert eine Weile, bis Kerbil wieder atmet. Der Trick ist, die Augen zu schließen. Dann befindet er sich nicht mehr im Weltraum, sondern im Magen eines Tyrannosaurus auf einer Achterbahn. Dummerweise verträgt der Dinosaurier das Geschaukel nicht besonders, daher muss er sich übergeben.
Er kotzt Kerbil aus, der sich über der Toilettenschüssel in der Ecke der Kammer wiederfindet und endlich die Reste seiner Psychips loswird.
Nach einer Weile findet Kerbil heraus, dass er aus einem Schlitz am Fußende seiner Liege eine Papierdecke mit aufgedruckten Sternschnuppen ziehen kann. Die hält ihn warm, und nachdem er sie in dieser Nacht mehrmals vollgekotzt hat, zerknüllt er sie einfach und spült sie die Toilette runter.
Am Morgen scheint das Wasser aus der Wandklappe nicht mehr vergiftet zu sein. Kerbil ist jetzt euphorisch, zumal seine Schuhe doch nicht im Kosmos verschollen sind. Eine Stunde lang versucht er noch, die Botschaft zu ermitteln, die in den Werbelaufschriften verborgen ist. Aber anscheinend geht es doch nicht um mehr als den unschlagbaren Geschmack gewisser Zwiebelriegel, die konkurrenzlos smarte KI der neuen Spiderman-Actionfigur und das digital gesteuerte Belüftungssystem der aktuellen TurnschuhKollektion.
Kerbil findet, dass die Entgiftung erfolgreich war. Es wird Zeit, dass er Mr. Marlowe zur Seite steht, um den größten Fall seines Lebens zu lösen. Er schlüpft in seine Schuhe, streicht seine Haare aus der Stirn und ruft das leidlich versteckte Test-Untermenü des Zellensystems auf.
Gut, dass er lesen kann. Im Gegensatz zu den anderen Menü-Optionen bestehen diese hier nicht aus Bildchen, sondern aus Buchstaben und Wörtern. Konzentriert tippt Kerbil auf die nötigen Tasten, die ihm der berührungsempfindliche Bildschirm anzeigt. Er füllt das Entlassungsformular aus, allerdings muss er gestehen, dass einige Einträge nicht ganz der Wahrheit entsprechen. Kerbil hat den Verdacht, dass er keinen Erfolg hat, wenn er ins Feld »Einlieferung« »gestern Abend« einträgt. Daher schreibt er »vorletzte Woche Dienstag« hin. Unter »Behandlungserfolg« trägt er nach kurzer Überlegung »beträchtlich« ein. Er begutachtet sein Werk wie das abstrakte Gemälde, das ihm vor einigen Wochen sein Metakunstlehrer als Hausaufgabe aufgetragen hat. Dann entfernt er die Buchstaben »beträch« und ersetzt sie durch »außerorden«.
Jetzt ist Kerbil zufrieden. Er drückt den Absenden-Knopf und beantwortet die obligatorische Frage »Sind Sie sicher?« mit »Unbedingt«. Er glaubt nicht, dass die Verwaltungssoftware, die den ganzen Laden hier steuert, auf die Idee kommt, dass Kerbils Entlassung nur ein Testformular ist. Der Junge kennt die Gedankengänge von Programmierern. Hacken ist an der Schule sein Lieblingsfach. Er ist einer der wenigen Schüler, die kapiert haben, dass das Hineindenken in die Entwickler der Schlüssel zu allen abgesicherten Systemen ist. Kerbil hat ständig Bestnoten kassiert und seine Eltern kräftig zur Kasse gebeten. Für jede Eins in einer Klassenarbeit oder im Zeugnis haben sie ihm einen Haufen Geld versprochen. Die Quittung lautete, dass für Kerbil leider kein Ticket nach Europa im Budget war. Tja, hätte er mal nicht so viele gute Noten nach Hause gebracht, dann könnte er jetzt den Ureinwohnern von Europa vom Kreuzfahrtschiff aus beim Aussterben zusehen.
Kerbil grinst in sich hinein, denn hier auf dem Mars kann er das natürlich auch. Er muss nur den betreffenden Fernsehkanal einschalten. Allerdings ist der höchst langweilig und eignet sich bestenfalls zum Einschlafen, wenn man keine Schlummerschnell-Pillen zur Hand hat. Wenn die Ethik-Kommission der Erde den Kanal nicht bezuschussen würde, hätte er längst Pleite gemacht,

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