Walpurgistag
siebzehn stolpert sie, muss den Fuß erst wieder in Position bringen. Ob Nummer 127 auf dem Arbeitsmarkt noch vermittelbar ist? Der Gong ertönt erneut. »Nr. 128 – Platz 2.« Der Weg nimmt kein Ende. Nummer 127, mal angenommen, das ist wirklich sie, hat die Nummer des Schrittes, den sie gerade macht, vergessen. Die Absätze klacken seit dem Fast-Sturz nicht mehr rhythmisch, sondern hektisch. Das macht keinen guten Eindruck. 127 kommt nur mühsam voran. Vorhin war noch alles easy, aber der Verlust ihrer Nummer hat sie aus dem Konzept gebracht. Es ist wie in einem Albtraum, in dem man nicht vor dem Monster fliehen kann, das hinter einem her ist. Wenn ich heute den Termin verpasse, wird mir die Arbeitslosenhilfe gestrichen. Noch einmal: »Nr. 128 – Platz 2.« Aber diesmal ist wirklich niemand aufgestanden. Als sie an der Ecke ist, hat sie
vergessen, zu welchem Platz sie muss. War es 1 oder 3? Nummer 127 ist nervös, hat alles vergessen: Name, Herkunft, Beruf, Anzahl der Kinder, Fremdsprachenkenntnisse. » Wissen Sie noch, welcher Platz für 127 war?«, fragt sie einen Mann, der sich hinter einer großen Zeitung verschanzt hat, »1. Mai – Erleben wir den Gipfel der Gewalt?«, aber der schüttelt den Kopf, und die Frau daneben versteht kein Deutsch. Katrin Manzke läuft weiter, die Absätze klacken, klack, klack, dann kommt ein Hinker, knickt um, fällt diesmal, steht auf, humpelt zwei Schritte, geht weiter, klick, klick, klick, streicht sich den Rock im Gehen glatt. Schwitzt jetzt, starrt auf das Display, »Nr. 129 – Platz 5«, steht vor dem Zimmer mit Platz 3. geht kurzerhand rein, ruft: »127, bin ich hier richtig?«, kommt gleich wieder rückwärts raus, weil da eine andere auf dem Platz sitzt. 127 trippelt noch ein wenig hin und her. Lässt die Schultern hängen, fast resigniert, trippelt her und hin. Die anderen Wartenden haben ihre Tätigkeiten eingestellt, starren sie an, wie sie trippelt, nach oben schaut.
Die Tür von Platz 1 geht auf, eine Frau tritt heraus. »Ist 127 noch hier?« – »Heut ist mein Glückstag«, sagt Nummer 127, »das bin ich, aber ich habe meine Marke gesucht und dabei den Platz nicht mitbekommen.« – »Dann kommen Sie mal, wie war noch Ihr Name?« – »Manzke heiße ich. Katrin Manzke.«
13.45 Uhr
Frau Köhnke und Frau Menzinger erwarten die Neue (Teil 2)
Frau Menzinger (sieht auf die Straße, wo ein fahrerloses Auto im Halteverbot steht und den Möbelwagen behindert, der vor dem Haus halten will) : Wie mein Hausbesitzer. Offener Wagen. So ’n Angeberkabriolett. Habe ick ihm mal die Kacke von meinem Hund schön uff die Ledersitze drapiert, paar Tage nachdem er jesagt hat (tütelt) : »Frau Menzinger, ich habe da eine schöne Wohnung für Sie, zwei Häuser weiter und nicht so weit oben.« Stellte sich raus, det war ’n Dreckloch, Hinterhof parterre. Die Sitze war’n jelb, müssen Sie wissen. So’n janz zartet Leder. Sah sehr schön aus, ick hatte dem Hund nämlich Möhrchen unters Essen jerieben. Frau Köhnke: Wenn die alt sind, sind die heute Jungen in der Mehrzahl und fressen sich gegenseitig de Butter vom Brot.
Frau Menzinger: Und drangsaliern die Jüngeren.
Frau Köhnke: Machen Demonstrationen gegen die, in Rollstühlen, oder schlagen mit Gehstöcken auf Polizisten.
Frau Menzinger: Weil se nüscht jelernt haben als Demonstrieren. Heute werden se sich bestimmt ooch wieder zusammenrotten. Frau Köhnke: Wieso heute?
Frau Menzinger: Na, wissen Se denn nich, welcher Tach heut is? Ach, Sie ham ja nich direkt am Platz jewohnt. Ick war da jenau mittendrin. Sozusagen Loge. Jedes Jahr wieder am 30. April hat jemand Feuer jemacht auf ’m Platz, und jedes Mal wollte die Feuerwehr es löschen. Dann ham die Chaoten es wieder entzündet, dann kam de Polizei, dann flogen Steine, dann spritzte Wasser, und einmal haben se sojar Tränengas benutzt. Da habe ick aber schnell alle Fenster zujemacht. Sie müssen wissen, ick habe gleich am Platz jewohnt, kann man von hier aus leider nur schwer sehen. (Lehnen sich weit aus dem Fenster.)
Frau Menzinger: Kucken Se ma, da, det Kind. Springt einfach auf die Straße. Und wo ist die Mutter? Da! Sitzt seelenruhig beim Kaffee und qualmt eene. Aber jetzt uffspringen, wos fast zu spät ist. Sehn Se, wie die ihr Kind anfasst? Als wär’s ’ne Puppe. Und jetzt jibt se ihm een Klaps uff ’n Po! Jab es da nich grade ’ne Jesetzesänderung, dass Züchtijung verboten ist?
Frau Köhnke: Det arme Kind. Mit dem Urgroßvater war ich im Kommunistischen
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