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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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hier oben. Die ham se ooch rausjeekelt aus ihrer Wohnung. Und noch nich ma’ne Abfindung hat se jekriegt. Saubande.
    (Frau Menzinger öffnet die Tür und horcht ins Treppenhaus.) Frau Menzinger (ins Zimmer): Ick hör se. (Nach draußen.) Wat bringen Sie denn da mit?
    Frau Schweickert (von Draußen): Na, meinen Stuhl. Brauch ja oben was zum Sitzen.
    (Der Hund von Frau Menzinger, ein Spitz, bellt in den Hausflur. Frau Menzinger: Still, Stalin. Hältst du mal die Fresse? Det ist Gerda, die lernste ooch bald kennen. Schnupper mal, und denn aber jut, husch ins Körbchen. Komm Se doch kurz mal rein, den Stuhl könn Se stehen lassen, hier klaut keener.
    Frau Schweickert: Heißt Ihr Hund wirklich Stalin?
    Frau Menzinger: Ja, weil er so kleen is. Am Anfang hieß er Schnuppi, aber Stalin klingt besser. Kann man die Westler schön ärgern auf ’m Kollwitzplatz, wenn ick schreie: »Stalin, bei Fuß!«, und det Würstchen denn anjetrottelt kommt, denn kriejen die Angst.
    Frau Schweickert: Hm.

    Frau Menzinger: Vor mir, nich vor ’m Hund. Aber nich, dass Se denken, ick war Kommissarin oder so wat jewesen.
    Frau Schweickert: Was war’n Sie denn von Beruf?
    Frau Menzinger: Hortnerin. Aber zu einer Zeit, als die Jungs noch nicht mit Pumpguns bewaffnet in die Schule jekommen sind, um Anjestellte der Volksbildung über ’n Haufen zu schießen.
    Frau Köhnke: Hör’n Sie nur auf davon, schreckliches Thema.
    Frau Schweickert: Spitzbart wär aber besser gewesen für einen Spitz.
    Frau Menzinger: Det verstehn die Westler nich, det is wie Perlen vor die Säue. Herzlich willkommen erst mal.
    (Sie schütteln einander die Hände.)
    Frau Menzinger: Nehm Se doch Platz. Das auf ’m Sofa ist Frau Köhnke. Siebzig Jahre immer Knaack 70 jewohnt.
    Frau Köhnke: Knaack heißt sie erst seit fünfzig Jahren, vorher Treskow, und umnummeriert wurde auch nach dem Krieg.
    Frau Schweickert: Weiß ich, weiß ich, in der Treskow hat Bekanntschaft von uns gewohnt. Er war bei der Brauerei. Is bei der Belagerung umgekommen.
    Frau Menzinger: Frau Köhnke war ma Lehrerin. Unterstufe.
    Frau Schweickert: Da können wir ja die Abteilung Volksbildung wiederbeleben. Ich war Kindergärtnerin.
    Frau Menzinger: Ja, hier können wir’s uns schön jemütlich machen uff unsern Lebensabend. Während die da unten, wenn die in unserm Alter sind, noch malochen oder jeden Tag persönlich ihre Stütze vom Amt holen müssen. Währenddessen wir immer schön aus ’m Fenster gucken, denn mal Seniorentanz nachmittags oder ’n kleinen Ausflug zum Ku’damm ...
    Frau Schweickert: Da war ich’ 61 das letzte Mal, mit meiner Schwägerin. Aber mit der red ich schon Jahrzehnte nicht mehr. Da sagt die doch Anfang der Siebziger: »Na, ihr im Osten ... « Da hätt ick ihr fast eene geklebt. Purer Zufall war’s, dass se im Zigeunerkeller auf ’m Ku’damm neben diesem Kerl zu sitzen kam. Während ich die Lippen noch nachgezogen hab, war sie die Erste am Tisch. Naja, war ’ne Niete, der Kerl. Aber aus ’m Westen. Nur,
das konnte ja ’42 keiner wissen, dass das so wichtig wird. Dabei war der von ’ner Plumpe!
    Frau Menzinger: Gesundbrunnen. Wedding. Das Letzte. Da hätten uns keine zehn Pferde hingekriegt.
    Frau Schweickert: Da war Prenzlauer Berg echt was Besseres. Hat ihr gleich ein Kind gemacht. Und kam auch aus dem Krieg zurück, um sie dann dreißig Jahre lang zu quälen, bis er endlich tot war. Unglücklich ist sie geworden in ihrem Westen! Todunglücklich! (Es klopft. Frau Menzinger steht auf und geht zur Tür. Im Hintergrund ist eine männliche Stimme zu hören.)
    Männliche Stimme: Ist Frau Schweickert hier? Wir brauchen Sie mal.
    Frau Schweickert: Jetzt hätt ich die Umzugsleute fast vergessen. Na, Alzheimer.
    (Steht auf und streicht den Rock glatt.)
    Frau Menzinger: Wenn Sie fertig sind, kommen Sie doch runter. Können wir uns noch ’n kleinen Likör genehmigen. Einen von meinem guten zur Feier des Tages.
    Frau Schweickert: Vielleicht, wenn ich nicht zu müde bin.
    Frau Köhnke: Ich geh auch mal. Muss noch zur Fußpflege.
    Frau Menzinger: So was können Sie sich noch leisten? Klingeln Sie doch auch nachher. Können wir Chaotengucken machen am Fenster.
    Frau Köhnke: Wir werden sehen. Machen Sie’s gut.
    Frau Menzinger: Sie auch.
    (Stalin bellt und rennt auf Frau Köhnke zu, die ihm, um ihn abzubremsen, einen leichten Tritt gibt.)
    Frau Menzinger: Stalin, komm her, nicht, dass du noch totgetreten wirst von der Tante.
    (Sie schließt die Tür hinter Frau Köhnke.)
    Frau

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