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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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Vor dem letzten bleibt sie stehen und winkt Sugar herein. Candys Kopf ist bandagiert, sie hat eine Atemmaske über Nase und Mund, und Schläuche schlängeln sich aus ihrem Kopf. Es scheint, als werde sie mit Gewalt am Leben gehalten. Rechts über ihr piept es gleichmäßig aus einem Gerät, das wie eine Mikrowelle aussieht, statt der Scheibe aber einen Bildschirm hat, über den grüne, zackige Kurven laufen, wie Cakes es aus Kriminalfilmen kennt. In solchen Momenten kommt immer die Kommissarin und fragt, ob das Opfer vernehmungsfähig sei, und der Arzt schüttelt den Kopf. Candy hat Angst, dass plötzlich ein langer Ton das Piepen ersetzen und die Kurve zu einer geraden Linie werden könnte. »Der Blutdruck ist stabil«, sagt Sugar und zeigt auf den Bildschirm. »Woher willst du denn das wissen?«, fragt Cakes. »Das haben wir bei Frau Trepte gelernt. Hundertzwanzig ist gut.« – »Candy«, flüstert Cakes, »kannst du uns hören? Hier sind Sugar und Cakes, deine Freundinnen.« In Candys Gesicht regt sich nichts. »Hey, erinnerst du dich? Wir sind die drei geheimnisvollen Wesen: die Hohe, die Genausohohe und die Dritte, die die Geheimnisse des Universums erhöhen und das Buch des Schicksals schreiben. Das hast du uns beigebracht. Gewordene, Seiende und Werdende. Urd, Verdandi und Skuld. Wyrd, Wurd und Urd. Klotho, Lachesis und Atropos. Erinnerst du dich nicht? Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Schicksal, Wesen und Notwendigkeit. Das kannst du nicht alles vergessen haben. Wir haben es doch auch behalten. Und wir sind um einiges dümmer als du.« Cakes spricht mit gepresster Stimme. Keine Reaktion von Candy. »Ob sie jetzt nicht mehr so schlau ist?«, fragt Sugar.
    »Sind Sie Angehörige?« Ein Arzt hat sich hinter ihnen aufgebaut. Dr. Maschmeyer, steht auf seinem Schild an der Brust. Cakes findet als Erste ihre Sprache wieder. »Wir, wir sind Cousinen. Zweiten Grades.« – »Cousinen zweiten Grades, soso. Und wie seid ihr hier hereingekommen?« – »Durch die Tür«, sagt Sugar. »Und wo ist eure Schutzkleidung?« Die beiden schweigen. » Wissen Sie, Herr Doktor, ihre Mutter traut sich nicht her
ohne ihren Mann, die darf nicht alleine raus, Sie verstehen schon, Tradition und so. Der Mann ist gerade in der Türkei. Und wir sollen mal gucken, wie es unserer Cousine geht.« Cakes ist immer wieder erstaunt, wie gut Sugar lügen kann. »Soso«, sagt der Arzt. »Dann wird das vorhin wohl Ihre Großcousine gewesen sein, die sich als Mutter ausgegeben hat. Und einen Mann hatte sie auch dabei, der sehr traurig war, seine Großnichte hier im künstlichen Koma zu sehen.« Irgendwie kommt Cakes die Stimme des Arztes bekannt vor. »Nichts für ungut«, sagt sie. »Sie müssen wissen, meine Schwester geht in die Hilfsschule, die bringt manchmal was durcheinander.« – »Du bist nicht meine Schwester, du bist noch nicht mal meine Freundin«, heult Sugar augenblicklich in einem Katzenton, dreht sich um und klackt durch den langen Flur bis zu der großen Tür, die wie von Geisterhand aufgeht. Cakes rennt ihr hinterher. »Bleib stehen, war nicht so gemeint.« Sugar ist ziemlich schnell, trotz ihrer hohen Absätze.
    Im Foyer fällt es Cakes wieder ein. Der Arzt muss der Typ sein, der sie sich heute Morgen beim Telefonsex in Strapsen auf dem Gynäkologenstuhl vorgestellt hat. Er hat behauptet, gerade von der Nachtschicht gekommen zu sein, Cakes hat ihn für einen Straßenbahnfahrer gehalten. Aber was noch schlimmer ist: Dieser Typ trifft jeden Morgen auf ihre Mutter, die in der Intensivstation sauber macht. Vielleicht hat er ja sogar vom Arztzimmer aus angerufen. Naja, so blöd wird er hoffentlich nicht sein. Wenn er sich das nächste Mal als Müllmann ausgibt, dann wird sie sagen: Herr Maschmeyer, bitte stellen Sie sich mich mit einem Tropfständer mit drei Beuteln vor. Sie wissen schon, was drin ist.
    »Sugar, warte mal«, ruft sie über den Platz vor dem Urban. »Ich muss dir was erzählen, das glaubst du nicht.«

17.05 Uhr
Drei Weiber pflanzen einen Weihnachtsbaum ein und suhlen sich im Gras
    Zwei Weiber, eigentlich drei, wenn man das Kind mitzählt, das vier Schritte hinter ihnen geht und eindeutig ein Mädchen ist, kommen den schmalen Weg entlang, der sich auf dem Stadtplan Virchowstraße nennt. Sie halten sich nahe bei dem provisorischen Zaun, der den Volkspark Friedrichshain vom Neuen Hain trennt.
    Die Kräftige bleibt plötzlich stehen und zieht mit einem Ruck so an den Maschen, dass sich einer der Aluminiumpfähle aus

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