Walpurgistag
ihnen später, wegen der dort herumlungernden Arbeitslosen, verboten wurde.
Mit Trude hatte sie Laubwohnungen geharkt, richtig schön mit Schlafstube und Wohnzimmer, jede ihr Kindchen im Puppenwagen. Wie zwei Kriegerwitwen haben sie da gehaust, bis die Jungs kamen und ihnen die Wohnung durcheinanderwirbelten. Trudes Elternhaus hat dreizehn Jahre später die große Luftmine zerstört, die 1941 in der Allensteiner Straße runterging und die beiden Nachbarhäuser der Braunsberger und alle Eckhäuser mitriss. Das war die Sensation des Jahres, da ist Goebbels aus dem Regierungsviertel angereist und hat sich den Schlamassel angeguckt. Die Bewohner der Straße mussten ein Spalier bilden, als er vorfuhr, nur den Juden war es nicht erlaubt, und Anna Gärtner hat er übers Haar gestrichen, dabei war die aus Gerdas Haus und gar nicht ausgebombt. Zum Dank für ihre Tapferkeit durften alle Kinder aus den zerstörten Häusern im neuen großen Bunker im Friedrichshain übernachten. Die Leute kamen am Wochenende aus Westend und Reinickendorf, um mal in so einen Bombentrichter zu sehen und sich zu gruseln, denn es hatte auch Tote gegeben. Wer konnte denn ahnen, dass es drei Jahre später mehr Bombentrichter als intakte Häuser in der Stadt geben würde?
Trude hat kurz danach den Harrer per Ferntrauung geheiratet. Gerda war dabei, als Trude im Standesamt in der Nordmarkstraße im weißen Kleid allein neben einem Stahlhelm saß und Ja sagte, und der Stahlhelm sagte nichts. Wider Erwarten kam Harrer zurück, und Trude und er haben die Wohnung durch ihre Vermittlung bekommen. Aber als Harrer ’61 drüben geblieben ist, hat Trudchen noch mal geheiratet und ist nach Zeuthen gezogen. Gerda Schweickert nimmt sich vor, ihr morgen zu schreiben, dass sie nun in der Kollwitzstraße wohnt.
»Mutter & Sohn Stenz«, steht in Schönschrift auf dem nächsten Karton. Da hat sie die Seiflappen und Handtücher hineingestopft, wie sie ihr in die Hände fielen. Ein Durcheinander ist genau das Richtige für die Suffkes aus dem Vorderhaus. Sie trank zu Hause und er in der Kneipe Zum Alten Gaswerk, weil er bei Brechts nichts mehr kriegte. Da hatte er mal randaliert, einen Stuhl ins Tresenregal geworfen, der die Flaschen mit den Spirituosen, die die Wirtin ihm nicht verkaufen wollte, herunterriss. Neulich ist er nachts auf der Danziger beim Überqueren der Straßenbahnschienen gestolpert und mit dem Kopf aufs Gleis geknallt. Zum Glück hat die Mutter aus dem Fenster nach ihrem Göttersohn Ausschau gehalten und ihn da liegen sehen. Gerade noch rechtzeitig, ehe die Nachtbahn kam. Seitdem humpelt er und redet noch wirreres Zeug als vorher. Einsdreifix ist der Kram im Kleiderschrank und die leere Stenz-Kiste auseinandergefaltet auf dem Stapel für leere Kartons. Dann ist Karton »Naujocks« an der Reihe, zweite Etage links. Inhalt: Bettwäsche. Passend zu den Nymphomanen. Die fielen schon im Treppenhaus übereinander her, wenn sie von der Arbeit kamen. Beide waren Straßenbahnfahrer. Ihre Kinder hielten sich oft bei Gerda auf, die ihre Kindergärtnerin war und es eben auch nach Feierabend blieb. Bei den Elternbesuchen in der Wohnung deutete nichts auf die sexuelle Aktivität des Paars, und die Kinder erwähnten auch nie etwas, ganz im Gegensatz zu anderen, die mit großer Lust die Vereinigung von Mann und Frau in allen Einzelheiten schildern konnten.
Wie gerne hätte Gerda ein eigenes Kind gehabt. Hat nicht sollen sein. Dafür hat sie ganzen Generationen die Mutter ersetzt und wird heute noch alle naselang gegrüßt von erwachsenen Leuten, manche haben Glatzen und schlaffe Haut. Daran sieht sie, wie viel Zeit vergangen ist. Entsetzlich viel Zeit.
»Trautwein«, vierte rechts. Was haben die Trautweins eigentlich abgekriegt? Den Karton mit dem Schuhputzzeug, der passt zu ihm. Er hatte immer penibel gewichste Stiefel, wenn er zur Sektorenpolizei marschierte, und als die Mauer gebaut wurde, stieg er auf bei den Grenztruppen. Bis zum Hauptmann hatte er’s gebracht. Frau Trautwein arbeitete bei der Post um die Ecke und las wohl manchmal sogar die Briefe, denn sie wusste auch Sachen, die nicht auf Postkarten gestanden hatten, und tratschte sie weiter. Sie war deshalb gefürchtet im Kiez, und alle waren froh, als sie umzogen in eine Neubauwohnung in Lichtenberg, mit Fernheizung, ein Dank der Partei.
Ihr Mann schützte zwar die Grenze, aber er half nie, wenn Kalle Ziebarth nebenan Frau und Kinder züchtigte.
»Besetzer«. Das sind die Toilettenartikel.
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