Walpurgistag
dem Betonklotz herausheben lässt und die drei durch die entstandene Lücke schlüpfen können.
Eine der Frauen trägt einen Weihnachtsbaum in einem Blumentopf, er nadelt mächtig, denn sie schreit schon zum zweiten Mal: »Au! Det Jepieke reicht ma, ick muss schon Nadeln im BH haben.« – » Wenn se nur im BH sind, geht’s ja noch«, ruft die, die vor ihr herläuft. »Willst du ’n mal tragen, Viola?«, fragt die Gepiekte, aber die andere gibt zurück: » War’s meiner? Ich hätt’ den am 3. Januar auf den Gehweg gestellt.« – »Damit Klara der Meinung ist, dass man alles wegschmeißen kann, oder was?« – »Deine Klara wird mehr wegschmeißen, als dir Messie lieb ist.«
Das Mädchen Klara trottet hinterher und dreht sich beim Gehen mehrmals um, als suche es einen Fluchtweg.
»Is doch ’n schöner Platz hier. Und so leer. Wenn der Park erst mal eröffnet ist, werden sich die Leute stapeln. Dann wär das hier heute ein einziges Lagerfeuer«, meint die Kräftige. »Picknick am Wegesrand, fällt mir da ein, Gebrüder Strugazki. Von wem verfilmt, na, Heike?«, fragt die Kräftige. »Tarkowski.« – »Filmtitel? « – »Stalker.« – »Der konnte noch Filme machen, aber tot ist tot« – die Kräftige klatscht in die Hände –, »wo wollen wir das
Loch reintun?« – »Das Loch reintun, blödes Deutsch«, sagt die mit dem Weihnachtsbaum. »Man tut was ins Loch.« – »In mein Loch kommt nichts rein«, sagt die Kräftige. »Hey, das Kind wird ganz verlegen, schau sie dir an.« Das Mädchen dreht sich um und vergrößert den Abstand zwischen sich und den Erwachsenen. »Du musst nicht noch die letzten Mädchen auf die Seite der Männer treiben, der Feminismus ist eh schon im Arsch«, sagt die Weihnachtsbaumfrau. »Zu Recht! Bei den Westfeministinnen wär das >man< am Anfang deines Satzes nicht durchgegangen«, tüttelt die Kräftige. »Könnt ihr euch nicht endlich mal auf die weiblichen Bezeichnungen eurer Berufe verständigen? Eure patriarchale Sprache klingt in meinen Ohren wie Kreide an der Tafel. Und was haben wir gemacht? BMSR-Technikerin gesagt, und, bums, gab’s den ganzen Beruf nicht mehr.« – »Als wenn du jemals BMSR-Technikerin gewesen wärst.« – »Na, du warst auch kein Rinderzüchter! « – »Ja, aber Sonderschullehrer.« Sie lachen.
»So, Klara, jetzt bist du dran. Ein Mensch muss einen Baum pflanzen, ein Buch schreiben und ein Kind zeugen«, sagt die mit dem Weihnachtsbaum. »Das heißt: einen Sohn zeugen, und ist eh ein Männerspruch. Weil Frauen ja nicht zeugen, sondern empfangen, meine Lieben. Da müssen wir der patriarchalen Sprache mal in die Augen sehen.« Die Kräftige breitet eine Decke aus. »Hol mal deine Buddelschippe raus, Klara«, sagt die Mutter. Das Kind zieht eine Schippe aus seinem Rucksack. Wahrscheinlich ist sie übrig geblieben aus den Zeiten, als es noch im Sandkasten spielte, was aber schon fünf, sechs Jahre her zu sein scheint. Die beiden Weiber kichern und flüstern miteinander, das Mädchen kratzt lustlos an der Grasnarbe.
»Ein bisschen mehr Mühe kostet das schon«, sagt die Kräftige, nimmt dem Kind die Schippe aus der Hand, setzt sie gerade an und stößt sie mit ihrem beträchtlichen Körpergewicht in die Erde. »So«, sagt sie und gibt sie dem Mädchen zurück, »mach du weiter. « Sie wendet sich wieder der Mutter zu, während das Mädchen gelangweilt oder nachdenklich – so genau ist das vom Zaun aus nicht auszumachen, dafür müsste sie ein Fernglas haben – ein Loch
in die Erde des Neuen Hains buddelt. In einiger Entfernung verteilen zehn Leute wie in Zeitlupe Sand von einem Haufen. Drei stehen daneben, auf ihre Spaten gestützt. »Die sind vom Sozialamt geschickt worden. Sieht mir jedenfalls ganz danach aus. Dreimal an der Erdkruste kratzen und sich dann krankmelden«, sagt die Kräftige. » Willst du für ein paar Kröten zwangsverschickt werden, um Straßen zu fegen?«, fragt die Mutter, faltet ihre Jacke zusammen und bettet ihren Kopf darauf. »Einen öffentlichen Park anzulegen, ist eine gute Sache, da kann man sich auch mal ein bisschen anstrengen. « – »Aber nicht, wenn du vorher Philosophie studiert hast.«
Die Kräftige schaut beim Reden in den Himmel, wo ganz langsam eine orangefarbene Plastetüte in Richtung Kniprodestraße treibt. Dann sagt sie: » Von denen da vorne hat keiner Philosophie studiert, das sind Couchpotatoes, die wollen wieder zu ihren Nachmittagstalkshows zurück, wo sie ihresgleichen beim Zerfleischen zusehen
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