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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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etwas zu stark blondierten Haare gewaschen. Stattdessen löst sie Kreuzworträtsel, Hardy, der Bäcker,
liest die Berliner Zeitung Melanie gähnt ständig, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten, ein Glück, dass die Hygiene da war, als Melanie freimachte, und das Arbeitsamt am Dienstag kam, als Katrin zu Hause war, um Kuttner zu hören.
    Hatice sagt, sie müsse jetzt los, und schiebt sich mit ihrer Wespentaille an Susanne und Melanie vorbei. Katrin registriert, wie Hardy dem Mädchen auf den Arsch starrt. Sie wirbelt ein paar virtuelle Messer zu ihm hinüber, denn Hatice ist tabu. Als sie hier eines Tages hinter Melanie, mit der sie in einem Haus wohnt, reinschneite, waren auf der Stelle alle Kerle in sie verliebt, auch der Boss. Katrin hat jedem Prügel angedroht, der es versuchen sollte. Ist eh schon alles kompliziert genug.
    Über Hatice würde Katrin im Fernsehen kein Wort verlieren, denn ihre Familie weiß nicht, dass sie hier arbeitet. Sie will sich Geld zusammensparen, um nach Amerika abzuhauen, bevor sie verheiratet wird. Die Zeit wird knapp, das Aufgebot ist schon bestellt. Katrin hat ihr geraten, sie solle versuchen, einen deutschen Pass zu bekommen, aber Hatice meinte, sie sei noch nicht alt genug, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Zum Boss hat sie gesagt, dass sie bald achtzehn wird. Hatice kommt jeden Tag nach der Schule. Um sieben muss sie zu Hause sein. Sie zieht sich dann das Firmensweatshirt aus und geht die dreihundert Meter über die Oberbaumbrücke nach Kreuzberg. Hatice ist die Kaltmamsell der Pizzabäckerei, abgeschirmt hinter den Ablagen für die Bleche, ist sie zuständig für die Herstellung der Zutaten für den Belag. Denn ab und zu kommt eine komplette türkische Gang in den Laden, breitbeinig sich spreizende Kerle mit Keulentrizeps. Dann ist der Raum voll. Es ist besser, wenn Hatice in solchen Momenten nicht an der Ladentheke steht. Es könnte sie ja doch mal jemand erkennen. Allerdings glaubt Katrin nicht so ganz an Hatices Unschuld. Die hat’s wahrscheinlich faustdick hinter den Ohren.
    Susanne und Melanie reden über den Amoklauf. Susanne sagt, sie könne diesen Robert verstehen, sie hätte auch alle Lehrer erschossen, wenn sie vor zehn Jahren eine Waffe gehabt hätte,
aber Melanie meint, sie spinne, das sage sich so einfach, spätestens wenn aus einem Lehrer das Gehirn spritze, würde die Wut verflogen sein und sie plötzlich sehen, was sie angerichtet hätte, aber dann wär’s schon zu spät, und deswegen halte sie diesen rasenden Robert auch für hochgradig krank, so ein Typ im Blutrausch könne nicht ganz dicht sein. Naja, wenn das Fernsehen wirklich hier wäre, hätten sie jetzt wohl aus Pietätsgründen abgeschaltet, denn während Melanie »Blutrausch« sagt, beißt sie in die Pizza, die Hardy ihr hingestellt hat, auf ihren Wunsch mit extra viel Tomate drauf, und die quillt ihr aus dem Mund, weil sie gleichzeitig essen und reden will.
    Das sieht aus wie eine Szene aus einem Billig-Splattermovie, jetzt müsste die Tür aufgehen, eine maskierte Bande hereinkommen und alle niedermähen. Aber es kommt niemand rein, noch nicht mal ein Kunde. Nur Hatice, die Katrin schon fast vergessen hat, tritt aus dem Frauenklo. Sie hat ihre Haare mit einem Tuch bedeckt, wie sie es immer macht, bevor sie geht. Susanne und Melanie achten nicht mehr darauf, aber es ist noch nicht lange her, da haben sich die beiden die Mäuler zerrissen. Hatice erinnert Katrin an die Zeiten, als sie selbst Minirock zum FDJ-Hemd trug. Hauptsache, sie hatten das Blauhemd an. Wie es darunter aussah, war den Ideologen ziemlich egal. Ideologen sind immer gleich. Man muss sie bescheißen. Deswegen muss Katrin immer lachen, wenn sie Hatice nach Hause gehen sieht. Kopftuch zu Highheels, so stöckelt sie durch die Sonntagstraße, die Kippe in der Hand. Rauchen verbietet ihr ihre Religion offenbar nicht.
    Ich überlege mir, was ich den Fernsehfuzzis sagen würde, wenn sie mich bäten, meine Kollegen vorzustellen. »Frau Manzke, denken Sie daran, die Sendezeit ist kostbar.« – »Also, dahinten, das ist Susanne, fünfundzwanzig Jahre alt, blaue Augen, für die, die noch keinen Buntfernseher haben.« Ist eigentlich Quatsch, heutzutage hat doch keiner mehr einen Schwarzweißfernseher. Aber die Typen drehn auf Video, das vermatscht die Farben. Mir fällt nichts mehr ein. » Weiter bitte, keine Pausen, wir wollen so wenig wie möglich schneiden.« – »Ääh, sie ist eine untersetzte
Frau, circa 1,55 groß.«

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