Walpurgistag
Das sieht doch jeder, dass die nicht dünn ist. »Ääh.« - »Nun, Frau Manzke, noch mal von vorn.« – »Hm, Susanne, fünfundzwanzig, gelernte Schneiderin, wie ihr Name Schneider schon sagt; fünfjähriger Sohn, wohnt mit ihrem Lebensgefährten, zurzeit Montagearbeiter in Stuttgart, im Neubaugebiet Frankfurter Allee Süd, seit einem Monat in der Pizza fest angestellt, vorher schon jahrelang gejobbt, sehr sympathisch.« Ich hab Neubaugebiet gesagt, das heißt doch jetzt Plattenbausiedlung. Aber keiner sagt was, also mache ich weiter. »Melanie ist unsere siebzehnjährige Schüleraushilfe, zwölfte Klasse, dunkelhaarig, kalte Augen, typischer Teenager, der nicht weiß, wohin mit sich, zehn Pfund Schminke im Gesicht, schmeißt sich primitiv an alle Kerle ran und kommt mir ständig blöde, sehr unsympathisch, früher war so was nicht zum Abitur zugelassen worden. Wird nach der Schule nach Köln gehen zum Praktikum und dort einen reichen Sack finden, der sie aushält.« – »Stoppstoppstopp!« Ist klar, Katrin darf niemanden beleidigen, aber in den Talkshows brüllen die sich auch nur an, und gerade deswegen schalten die Leute ein. Der Aufnahmeleiter sagt, dass sie keine Talkshow filmen, sie seien von Arte. Gut, also lasse ich Melanie weg und mache mit dem Boss weiter. »Unser Boss, gut aussehender, fleißiger, ein bisschen verklemmter Enddreißiger, wie Sie sehen, blonde Haare, rötlicher Dreitagebart, braune Augen, mittelgroß. Wird von allen Reini genannt, nur ich sage Boss. Was er früher gemacht hat, müssen Sie ihn selber fragen, mit uns redet er nicht darüber.«
Katrin sagt nicht, dass sie am Anfang scharf auf ihn war, aber es war ja klar, dass der keine Gleichaltrige mit erwachsener Tochter nimmt. Er hat ihrer Meinung nach einen Fehlgriff getan, als er Janina nicht rechtzeitig den Laufpass gab, bevor sie schwanger wurde. Jetzt wohnt er über der Pizza mit ihr und dem Baby. Es ist ja schon kein gutes Zeichen, wenn jemand über seine Arbeit zieht. Und in diesem Fall noch im Wohnzimmer den Geruch von Pizza hat. Gut, Curry wäre schlimmer, aber die Arbeit riechen und noch einen Drachen im Haus erdulden müssen, das macht
nicht gerade glücklich, und der Boss ist in den vergangenen zwei Jahren gealtert.
Über Janina kann Katrin auch nicht reden, eine unmögliche Frau, faul, Alkoholikerin, lästert über alle, wirkt ein bisschen wie eine von den hässlichen Schwestern im russischen Märchen. Die war anfangs sehr eifersüchtig auf sie, bis Katrin eines Abends früher weg wollte und laut als Begründung in die Runde warf: »Ich will auch mal Sex haben.« Das würde Katrin jetzt auch gerne machen, Sachen nehmen, den Satz in die verdutzte Runde schleudern, rausgehen und dann wirklich Sex haben. Vielleicht wird’s ja heute Abend noch was.
Wen hat sie vergessen? Hardy natürlich, der, verdeckt vom Ofen, dabei ist, Teig zu machen. »Unser Pizzabäcker heißt Hardy, der hat sogar den Beruf gelernt, noch gar nicht so lange her, denn er ist erst dreiundzwanzig, aber gleich in die Arbeitslosigkeit gerollt.« Gerollt, ist das gut? Kann man eigentlich schon sagen, denn Hardy ist das beste Beispiel dafür, dass Pizza dick macht. Katrin weiß aber, dass es die Schokolade ist, die er immer heimlich verdrückt. Er hat einen kleinen Vorrat davon hinter den Tomaten im Kühlschrank. Im Moment will er mal wieder ein bisschen abspecken, deshalb isst er schwarze Schokolade. Wird er nicht lange durchhalten, die Pralinen werden ihm in der Kaufhalle morgen schon so mächtig zuzwinkern, dass er sie aus Mitleid in seinen Wagen packen wird. Hardy jobbt schon seit seiner Lehrzeit regelmäßig in der Pizza. Katrin und er wohnen im selben Haus, und irgendwann kamen sie im Treppenhaus ins Gespräch, dass sie eine Schwarzarbeit suche, und da hat er sie mitgenommen. Aber so was würde Katrin niemals in eine Kamera sprechen. Gnade mir Gott, dass die Typen vom Arbeitsamt keine Dokusoaps auf Arte sehen, bisschen viel Leute mit Pizza-To-Drive-T Shirts im Raum, bei zwei Festangestellten. Das mit der Kamera ist sowieso Quatsch. Katrin würde auch nicht sagen, dass Hardy immer sehr psychotisch reagiert, ihrer Meinung nach kommt der nur nicht mit der Welt zurecht, vielleicht ist er so weich und wabbelig geworden, um einen Puffer zu haben zwischen sich und
dem Rest. Aber Pizza machen kann er. Da ist er manchmal wie ein Kind, das alles um sich herum vergisst, wenn er den Teig mit Belag buchstäblich dekoriert. Er hat den Chef auch überredet, von der
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