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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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in Polen«, sagt die Kräftige, »ohne das Kind, und da hatte ich so viel Milch und wusste nicht, wohin damit, und da hat die Frau, bei der ich untergebracht war, gesagt: >Gib sie mir<, und ich dachte, die mischt sie ihrem Viehzeug unters Futter. Am Abend gab’s Schokoladenpudding zum Nachtisch.« – »Sprich nicht weiter«, sagt die Mutter und schüttelt sich. »Wirklich, aus deiner ... « Die Kräftige nickt. »Die hat hinterher gesagt, es war ’ne Mischung aus Mutter- und Kuhmilch gewesen. Da hatte ich aber schon aufgegessen.« – »Das ist ja wie bei den Tantaliden, wo die Götter Pelops Schulter aufessen, weil der Alte mal prüfen will, ob sie’s merken.« – »Ja, aber die weibliche Variante.« Die Frauen grunzen, jede auf ihre Weise.
    »Heike?« – »Ja?« – »Mir is langweilig«, sagt das Mädchen, das mit dem Rücken zu den zweien sitzt. »Außerdem stinkt die Hundepisse. « – »Immer ist dir langweilig. Guck mal hier, Natur, und da haben sie schon ein paar Körperertüchtigungsgeräte aufgestellt. Geh Sport machen. Bist eh so spackig«, sagt die Mutter ungehalten. »Ich will aber nicht. Ich will in den Mauerpark«, sagt Klara. »Da steckt doch Paul dahinter.« Die Mutter zwinkert der Kräftigen zu.
    » Wat denn, schon ’n Geliebten?«, fragt die, mit gespielter Empörung. »Der Junge ist dreizehn, der Sohn von Elke Bülow, ’ne Sandkastenliebe«, beschwichtigt die Mutter. »Ah, die Menstruationsblutmalerin.
Läuft ja wohl auch nicht mehr so mit der feministischen Malerei.« Die Kräftige hat einen leicht hämischen Unterton in der Stimme. »Ich hab gehört, dass die mächtig trinken soll?« – »Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihr«, sagt die Mutter und dreht sich weg, zum Zeichen, dass sie das Thema nicht weiter zu vertiefen gedenkt.
    »’n Mann ist nicht alles im Leben«, sagt die Kräftige zu dem Mädchen und hebt den Zeigefinger mit gespielter Tantenhaftigkeit. Klara starrt mit verkniffenem Gesicht den Reißverschluss ihres Rucksacks an.
    »Im Mauerpark sind heute Tausende Leute und Hunderte Chaoten. Und Chaoten kannst du doch nicht leiden«, sagt die Mutter. »Stimmt gar nicht.« – »Stimmt wohl. Vor drei Jahren hast du geflennt, weil so ’n paar Anarchos am 1. Mai ’nen Bauwagen umgeschmissen und angezündet haben. Da wolltest du, dass wir die Polizei anrufen.« – »Ich hasse dich«, sagt das Mädchen leise und wirft wütend seinen Rucksack ins Gras.
    Die Mutter holt eine Flasche Champagner aus der Tasche.
    »Oh, Krösus, hast wohl im Lotto gewonnen?« – »9,90 Euro bei Lidl«, sagt die Mutter entschuldigend und kramt nach zwei Plastesektgläsern. »Klara, auch ’n Schluck?«, fragt sie das Mädchen. »Ich trinke nicht, ich kiffe nicht, ich rauche nicht.« – »Was ist denn mit deinem Kind los, Heike?« – »Klara ist so was von gesundheitsbewusst«, seufzt die. »Ist ja logisch, die muss sich von dir abwenden. Du solltest mal anfangen, Sachen zu tun, die du hasst, die wird dein Kind dann garantiert nicht machen wollen«, sagt die Kräftige. »Ja, genau, die werde ich dir jetzt verraten, wo das Kind dabei ist.« – »Ich kann ja gehen«, sagt Klara. »Aber nicht so weit weg«, sagt die Mutter.
    Das Mädchen springt auf, nimmt den Rucksack und verschwindet, so schnell es kann. Fast rennt es.
    »Meinst du, ob die noch mal wiederkommt?« – »Die? Die geht jetzt zum Mauerpark. Kannst aber drauf wetten, um sieben ruft sie an. Ich kenn doch meine Tochter.« – »Ach ja, heute trägt man ja Handy als Girlie von Welt. Ist ihr’s auch rosa?« – »Sie musste sich
mit meinem alten zufriedengeben.« – »Da gibt’s doch jetzt solche Verkleidungen für Mobiltelefone. Wie früher diese Papierpuppen, die man an- und ausziehen konnte, weißt du noch?« – »Ja, denen musste man erst ’ne Muschi anmalen, da war ja nichts. Wie bei der Barbie später, da hat Klara ein Loch unten reingebrannt.« – »Ist ja fast wie Beschneidung.« – »Nee, das ist eine Eröffnung. Außerdem wurde Barbie vorher mit einer Spritze betäubt.«
    Die zwei Frauen liegen jetzt Kopf an Kopf, die Beine übereinandergeschlagen, die Hände verschränkt unter dem Kopf, schweigend, bis die eine sagt: »Fehlt nur noch der Grashalm im Mund.« – »Aber nicht von dieser verpinkelten Wiese.« – »Ich könnte eine Tüte drehn. Ist auch Gras.« – »Oh ja«, schreit die Kräftige, und die andere steht auf und zerstört das Bild, das an Synchronschwimmerinnen erinnert.

17.40 Uhr
Helga sieht durch, ein wenig

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