Walpurgistag
meinem Kopf.
Katrin macht sich einen Texas-Salat und bestellt bei Hardy einen extragroßen Pizzaburger für alle. Hinter der Fensterscheibe schließt Lorenzo gerade sein Fahrrad an, und Katrins Herz beginnt schneller zu schlagen. Das wundert sie jedes Mal wieder, denn es ist eigentlich nicht beabsichtigt. Aber Katrin muss zugeben, dass Lorenzo ihr Traummann wäre, aber er ist fünfzehn Jahre zu jung, und eine sympathische Freundin hat er auch. Katrin ruft laut: »Ey, Lori, vor fünf Minuten war Schichtbeginn.« Er winkt nur ab, denn er kommt jeden Tag zu spät. Sie diskutieren in der Küche zwischen Abwasch, Lampenputzen und Pizzaburgern, wer heute als Erster gehen darf. Katrin muss beim Reden immer auf Loris Zungenpiercing starren. Sie hätte ständig Brechreiz, wenn sie mit so einem Ding im Mund herumlaufen müsste. Ihr Exmann hat auch eins. Ist eben der Preis, wenn man sich mit einer zwanzig Jahre Jüngeren einlässt, die eine Woche nach der eigenen Tochter geboren ist.
Lorenzo ist für jeden Geigel verantwortlich in der Pizza, mit seiner Hilfe haben sie dreißig italienische Sätze auswendig gelernt, die werfen sie sich immer zu, wenn Touristen ihren Laden betreten und ihre Pizza an einem der drei Tische essen wollen, die im Vorraum stehen. Einmal sind sie leider an einen Italiener geraten, der das gar nicht lustig fand. Sie haben Lori gefragt, was die Sätze denn tatsächlich bedeuten, aber er wollte es nicht verraten, hat sich nur krummgelacht. Und als sie den einen Satz mühsam mit dem Wörterbuch entziffert hatte, kam da so etwas raus wie: Ich würde gerne deinen Schwengel lecken. Das fand Katrin noch im Nachhinein peinlich.
Ihre nächste Fahrt ist Frankfurter Allee Süd, Jugendklub im ehemaligen Kindergarten, sie nimmt den Weg über die Pfarr- und Kaskelstraße. Im Autoradio werden vierzehn Grad Celsius für Berlin gemeldet, auf der A 13 Spreewalddreieck Stau zwischen Boblitz und Vetschau wegen Unfall Vollsperrung, auf der B 96 Frankfurt-Lebus stehen Blitzer.
Im Jugendklub ruft sie: » Wer hat Pizza bestellt?« Heute ist hier alles still, die wenigen Besucher gucken sie betreten an, es fehlen die Jungs, die sonst am großen Tisch mit den Computern Videospiele spielen, vielleicht eine Folge des Amoklaufs. Die Betreuerin bezahlt. Sie ist unfreundlich, gibt aber fünfundneunzig Cent Trinkgeld. »Danke schön, ich wünsche guten Appetit, schönen Abend noch.«
Zurück fährt Katrin Manzke über die Frankfurter Allee, Niederbarnim- und Simon-Dach-Straße, wo die Leute schon wieder in Horden die Straßencafés frequentieren. Im Radio läuft: »Nur die Liebe lässt uns leben ... Tage im hellen Sonnenschein.«
Als sie die Tasche in der Pizzeria auspackt, merkt sie, dass ihre Brieftasche mit allen Ausweisen und der Sparkassenkarte fehlt. Sie war in der rechten hinteren Hosentasche. Das Portemonnaie mit ihren Tageseinnahmen ist zum Glück noch da. Trotzdem muss sie sich erst einmal setzen. Katrin tippt auf den Skateboarder im Hochhaus an der Frankfurter Allee.
18.30 Uhr
Paul ist verwirrt und sieht ein Kind im Rotkreuzcontainer verschwinden
Paul wirft das Skateboard mit lautem Knall auf die Gehwegplatten und springt auf. Er trudelt bis zur Ecke und dreht dann um. Einer hat schon »Ruhe« aus dem Fenster gebrüllt, irgendwo da oben im fünfzehnten oder sechzehnten Stock. Dabei sind die Autos, die sich auf der Frankfurter Allee stadtauswärts zu langen Kolonnen drängen, viel lauter. Paul muss sich abreagieren. Er hat seit Kurzem ein Geheimnis, aber er traut sich noch nicht einmal, darüber nachzudenken. Nur Klara darf davon wissen. Er hat sie von der Telefonzelle im S-Bahnhof aus auf dem Handy angerufen und ihr gesagt, dass sie dringend kommen soll. U- und S-Bahnhof Frankfurter Allee. Gleich. Er erwarte sie unter den Brücken. Er hat ihr nicht gesagt, was los ist.
Wie ist dieser Fernsehapparat auf die Wiese gekommen? Paul stellt sich ein Paar vor, das abends auf dem Sofa vor dem Fernseher sitzt. Er kennt solche Paare nur aus dem Fernsehen, vielleicht gibt es die in Wirklichkeit gar nicht, aber egal. Sie können sich nicht über das Programm einigen, haben aber nicht genug Geld, sich gegenüber im Ring-Center einen zweiten zu kaufen. Sie guckt Wrestling auf dem Sportkanal, und er ist genervt, weil er die Tagesthemen sehen will. Also fängt der Kampf um die Fernbedienung an. Sie will sie nicht rausgeben, er entwindet sie ihr, schaltet um, findet nicht gleich den richtigen Kanal, weil sie die Kanäle heimlich
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