Walpurgistag
darauf. Die Glut leuchtet rot unter dem Kotflügel. )
Trude: Ick schwöre, det war meine letzte Zijarette.
Ilse: Und das soll brennen?
Trude : Janz sicher, meine Lieben, so wahr ick hier stehe.
Gerda : Wär es nicht besser zu verschwinden?
Trude: Wieso, wat ham wir damit zu tun? Wir sind arme, alte, jebrechliche Frauen, die im Fall eenet Falles ’n paar junge Leute ham sehr schnell wegrennen sehen. Wisst ihr noch, wie man Feuer anzündet?
Gerda : Nee, längst vergessen. Zentralheizung seit heute.
( Sie kichert. Die Kippe brennt sich wie eine Lunte in Richtung Kohlenanzünder .)
Trude : Außerdem hat die Polizei an anderer Stelle heute alle Hände voll zu tun.
Ilse : Woher weißt du eigentlich, wie man das macht?
Trude : Ick bin eene Freundin der Jugend. Oder unterhaltet ihr euch nie mit euren ehemaligen Zöglingen über dies und det? Über die Zumutungen det Monopolkapitalismus zum Beispiel.
Ilse : Das war doch gar nicht dein Thema als Hortnerin.
Trude : Woher willst ’n du det wissen, wat meen Thema war? Auf jeden Fall is et heute meens. Ick habe ganz jenau zujeguckt beim letzten 1. Mai.
( Die Glut hat den Kohlenanzünder erreicht, eine kleine Flamme springt zischend über. Die drei alten Frauen schauen gebannt zu, bis Frau Schweickert sich vorsichtig umdreht. Niemand ist auf der Straße.)
Gerda : Was ist, wenn sie unsere Fingerabdrücke finden?
Trude: Wieso, bist du etwa vorbestraft, det die deine Fingerabdrücke parat ham?
Gerda : Sehe ich so aus?
Trude : Nee, du siehst aus, als wartetest du sojar anner roten Ampel, wenn weit und breit keen Auto zu sehn is.
Ilse : Macht man ja auch so.
( Die Glut der Kippe hat das ganze Stück Kohlenanzünder erfasst. Eine leicht bläuliche Flamme züngelt den Würfel hinunter in Richtung Reifengummi. Stalin fängt an zu bellen.)
Trude: So, det is det Stichwort. Abflug. Oder will eene von euch die Feuerwehr rufen?
Ilse : Ick hab nüscht jesehn. Du, Gerda?
Gerda : Nö.
( Die drei alten Frauen gehen gemessenen Schrittes in Richtung Schönhauser Allee. Als sie kurz vor der stumpfen Ecke sind, fängt der Reifen des Porsche an zu brennen, weil sie aber alle drei kurzsichtig sind, können sie das aus der Entfernung nicht sehen.)
22.55 Uhr
Katrin Manzke erinnert ihre Zeit als Hexe, und Heike Trepte kotzt ins Gras
»Das Schlimme ist ja, dass wir uns diese Nacht haben wegnehmen lassen. 1987 haben wir das erste Mal eine Walpurgisnacht im Franz-Klub gefeiert. Nur Frauen durften rein, die Männer mussten draußen bleiben. Die haben vielleicht geguckt und dann geflucht.« Heike legt noch ein paar Scheite ins Feuer. »In der Nacht haben wir alles gemacht, was wir uns sonst nicht getraut haben, uns ausgezogen, uns geküsst, das Herrenklo benutzt, geile Tänze aufgeführt. « – »Naja, wir wussten damals noch nicht, dass in vorchristlicher Zeit Mädchen in der Walpurgisnacht mit entblößten Genitalien über heilige Steine rutschten und sich dabei einen Liebhaber wünschten.« – »Mensch, Viola, vor den Kindern.« – »Wieso, die Kinder sind Holz holen, dahinten bei dem Mann mit dem Lastenfahrrad, die können uns gar nicht hören, außerdem hast du da auch ein junges Mädchen, allerdings schon mit Liebhaber.« – »Du erzählst einen Schwachsinn.« Immer mehr Leute gesellen sich zu der Feuerstelle, was aber Viola Karstädt nicht davon abhält, sich weiterhin laut mit Heike zu unterhalten. »Naja, die meisten Weiber sind ja zurückgekrochen zu den Kerlen. Anfang der Neunziger haben wir uns das erste Mal auf dem Kollwitzplatz getroffen, um übers Feuer zu springen. Aber dann kamen die Jungs und haben neben uns noch ein viel größeres Feuer gemacht, jemand hat die Feuerwehr gerufen, und die wollte es löschen, aber weil die Jungs sich gewehrt haben, kam die Polizei, und dann ist das eskaliert, und die Frauen und Kinder sind im nächsten Jahr weggeblieben. Seitdem hatten die Kerle die Hoheit über das Feuer, und das ärgert mich. DAS ÄRGERT MICH.« – »Das ist wie bei der Christianisierung«, mischt sich Annja Kobe aus der zweiten Reihe ein. »Erst war es ein heidnisches Fest der Fruchtbarkeit, und dann kamen die
Priester und haben es umgedeutet. Von da an war das Fest dazu da, Hexenumtriebe abzuwehren. Und hier war es eben so, dass aus dem Frauenritual ein Männerritual wurde. Heute wird das auch so sein. Wir werden noch eine halbe Stunde hier vorm Feuer sitzen, dann beginnt das Männerritual, und die Tränengasschwaden werden uns, weil der Wind heute von Osten
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