Walpurgistag
kommt, aus dem Park verjagen.« – »Ich war schon vor Jahren dafür, das Gelände abzusperren und an die Voyeure Eintrittskarten zu verkaufen«, mischt sich Viola Karstädt wieder ein. »Dann könnten die Kombattanten gegeneinander antreten, und vom Erlös der Eintrittskarten ließen sich die Schäden beseitigen, und ringsherum gibt es Souvenirbuden, wo signierte Pflastersteine und Basecaps mit der Aufschrift › Walpurgisnacht – ich war dabei‹ verkauft werden. Die totale Kommerzialisierung ist die einzige Möglichkeit, dass beide Seiten die Lust am Kampf verlieren.«
» Warum heißt das eigentlich Walpurgisnacht?«, fragt Klara, die das organisierte Holz fein säuberlich neben dem Feuer stapelt. »Klingt irgendwie blöd. So altmodisch.« – »Da hast du recht.« Annja Kobe ist inzwischen in die erste Reihe vorgerückt. »Eigentlich hieß das Frühjahrsfest Beltane, aber dann kamen die Pfaffen und haben es umgewidmet. Keine Liebesakte mehr, sondern der Schutzheiligen gegen Seuchen, Tollwut und Missernten, der christlichen Missionarin Walpurga, sollte gehuldigt werden. Die war bestimmt nicht dumm, die war sogar für die Zeit sehr selbstständig, aber ihr fehlte sozusagen die Möse, falls du verstehst, was ich meine?« – »Ich glaube schon«, sagt Klara, » Walpurga ist so eine Art Barbie, die wie eine Nonne aussieht.« – »Das können wir so stehen lassen.«
» Wie geht’s eigentlich deiner Mutter?«, fragt Heike, während Klara gerade mit dem konservativen Feminismus der Walpurga beschäftigt ist. Paul zögert. Soll das eine Fangfrage sein? Und woher kennt Heike seine Mutter überhaupt? »Geht so«, sagt Paul betont gelangweilt. »Malt sie noch?« – »Ja.« – »Und hat sie mal wieder eine Ausstellung?« – »Weiß nicht«, sagt Paul. Schweigen macht sich breit, bis Heike fragt: » Was hast du denn für abgefahrene
Schuhe an?«, und auf seine roten Spangenschuhe schaut, die ja genau genommen seiner Mutter gehören. »Mama«, mischt Klara sich ein, »was geht dich das an?« Paul ist Klara unendlich dankbar für den Satz, denn Heike ist nun still und wendet sich den anderen Frauen zu, von denen eine, Katrin Manzke (als Annja Kobe diesen Namen hört, macht sie sich schnell aus dem Staub, schließlich ist sie seit heute Abend ihre Doppelgängerin), gerade dabei ist zu erzählen, wie sie Anfang der neunziger Jahre als Hexe auf einem Mittelaltermarkt gearbeitet hat. »Ich dachte, das ist besser als arbeitslose Elektrikerin, und schreien konnte ich schon als Kind wie am Spieß.« – »Was ist denn ein Mittelaltermarkt?«, erkundigt sich Viola Karstädt. »Naja, so ein Fest mit Schrotbrot aus dem Backofen, Handleserinnen, Magiern, Gerbern, Kerzenziehern, Minnesängern und Feuerschluckern. Und jeden Tag an einem anderen Ort. Der Höhepunkt des Abends war immer eine Hexenverbrennung. Da waren die meisten Besucher schon reichlich abgefüllt und grölten: ›Wir woll’n die Hexe brennen sehn.‹ Erst wurde der Scheiterhaufen aufgebaut, dann eine Frau, also ich, vom Grafen oder Schultheiss als Hexe denunziert, gefangen genommen, zum Tode verurteilt, auf den Scheiterhaufen gebracht und das Feuer entzündet, während ein jugendlicher Held mit einem Büttel des Herrschers kämpfen musste, um mich im letzten Moment vom Scheiterhaufen zu retten und mit mir auf dem Pferd aus der Stadt zu fliehen. Die haben sogar ein Strohfeuer angezündet, um die Hexe zu braten, und sie am Pfahl festgeknüppert, damit sie nicht fliehen konnte.« – »Was, die haben dich richtig festgebunden?«, fragt Viola Karstädt. » Warst du überhaupt versichert? « – »Versichert? Das war ein echt chaotischer Haufen. Es war kurz vor der Währungsunion, die absolute Anarchie, ohne jede Absicherung und mit viel Sex in Badezubern nach jedem Markttag. Aber an einem Abend ging alles schief. Wir waren am Rand des Harzes, und es war Wind an dem Tag. Das Stroh wurde großflächig um den Scheiterhaufen herum verteilt, und sie legten immer nach und nach, damit es nicht so poplig aussah. Was dazu führte, dass ich mitten in Feuer und Rauch stand und
der jugendliche Held sich nicht durchsetzte und kämpfte und kämpfte, während meine Espandrillos schon Feuer fingen. Und das Schlimmste war, dass ich schrie und schrie, aber die Zuschauer grölten nur noch lauter, denn sie nahmen ja an, dass das meine Rolle war, und nicht, dass ich in Wirklichkeit in Gefahr war. Sie wollten die Hexe brennen sehen, und das tat die Hexe auch. Hätte einer der Organisatoren
Weitere Kostenlose Bücher