Walpurgistag
brauchen das Bett neben dem Patienten hier. Neuzugang.« – »Ich bin fertig.« Das Deutsch der Stimme hat einen Akzent. » Was hat der Mann?«, fragt sie. Wasser tropft in schnellen Abständen in einen Behälter, das Tropfen wird aber bald langsamer und hört dann ganz auf. »Exitus«, sagt eine tiefe Stimme. »Altes Herz.« Wasser schwappt, etwas knarzt rhythmisch. Hosch hört, wie sich Schritte entfernen. »Einen Augenblick noch, Frau Aksoy, können Sie kurz mit anfassen? Wir sind nur zu dritt. Er muss auf die Bahre. Danach können Sie nach Hause gehen.« Hosch hört das Zögern und fragt sich im selben Moment, ob man Zögern hören kann, und eine Zehntelsekunde später, warum es ihm nicht gelingt, sich aufzurichten. Etwas Schweres wird abgestellt. Schritte kommen näher. Das Licht geht an. Es ist grell. Die Decke, an die Hosch starrt, ist hellgrün. Er schließt die Augen wieder.
Sein Zuhause jedenfalls ist das nicht.
Der blinde Mann, der in der Stadtbibliothek die Behälter der Rohrpost füllte, wo ist der eigentlich abgeblieben? Er sah aus wie Professor John Frink aus den Simpsons. Vielleicht ist er entlassen worden, weil die Kinder sich vor ihm erschreckten. Nebenan scheint ein Sack auf etwas aus Metall zu fallen. Dann rollt es weg. Auf ihn zu. Er kann sich nicht aufrichten, rechts von ihm piept etwas gleichmäßig. Das ist ihm bisher nicht aufgefallen. Das Piepen ist synchron mit seinem Herzschlag. Kann das nicht mal jemand ausmachen?
»Fahrrad unfall«, sagt eine Stimme, »wahrscheinlich Zusammenstoß, aber mit was oder wem ist unklar. Eine italienische Reisegruppe hat sie im Görlitzer Park neben ihrem Fahrrad gefunden. Haben den Unfallhergang aber nicht gesehen, waren schwer betrunken. Wahrscheinlich Schädeltrauma.« – »Da legen wir sie gleich neben das andere Schädeltrauma. Da können die beiden sich unterhalten.« – »Ist der von heute Nacht schon wach?« – »Nee, aber dürfte gleich so weit sein.«
Hosch versucht, den Kopf zu drehen. Es scheint Stunden zu dauern, ehe das linke Ohr das Laken erreicht. Und noch einmal so lange, bis es ihm gelingt, die Muskeln davon zu überzeugen, die Lider zu heben. Nebenan liegt ein Mädchen auf einem Bett. Es hat ein zartes Gesicht, aus dem lauter Kabel heraushängen. Hosch fällt beim besten Willen nicht ein, wo er sie schon einmal gesehen hat. Auch an den Namen kann er sich nicht erinnern. Kann ihm auch scheißegal sein. Er schließt die Augen wieder und dämmert weg.
6.20 Uhr
Eine Kaffeemaschine erweckt Aso Aksoy und ihre Tochter Emine zu neuem Leben und hat selber schon sechs gehabt
So eine Kaffeemaschine hat gut reden. Sie räuspert sich, röchelt eine Weile ohne Auswurf, spuckt schließlich das heiße Wasser in einen Filter, ungebleicht, mit locker darin verteiltem Kaffee, zwischen dessen Krümeln das Wasser seinen Weg nach unten sucht und sich dabei braun färbt, schließlich in den drei Löchern am Grund des Filtergefäßes verschwindet, um sich endlich im weiten Rund der gläsernen Kanne als Kaffee zu sammeln. Die Kaffeemaschine ist die Domina der Küche. Sie lässt nicht zu, dass noch irgendetwas anderes zu hören ist, bis sie sich ausgeröchelt hat. Danach pufft sie nur noch leise vor sich hin, als sei sie beleidigt, weil niemand die schwere Arbeit, die sie vollbracht hat, würdigen will.
Cakes, die sich auf dem Nachhauseweg in Emine verwandelt hat, schaut ihr teilnahmslos zu und gähnt dabei. Drei Stunden Schlaf sind eindeutig zu wenig. Sie ist erst kurz vor drei in der Wohnung gewesen. Sugar war nicht dazu zu bewegen gewesen, gleich nach diesem Reinfall mit dem Überfall und Candys überraschendem Aufbruch nach Hause zu gehen. Die ganze Zeit hatte Sugar sich über Candy aufgeregt. Eingebildet sei die und keine von ihnen. Und mit ihren blöden Göttinnen könne sie ihr auch gestohlen bleiben. Cakes hatte ihr recht gegeben, obwohl sie nicht wusste, warum Candy so plötzlich abgehauen war. Das würde sich spätestens heute Nachmittag alles wieder einrenken.
Eigentlich müsste die Mutter längst da sein. So ein Leben will ich nicht, denkt Emine, nachts im Krankenhaus und tagsüber im Laden vom Onkel. Und immer wird man aufgehalten und muss länger arbeiten. Dann lieber ein Leben lang Cakes heißen und klauen.
Sie holt zwei Tassen aus dem Küchenschrank und gießt eine bis obenhin voll. Der Filterbehälter der Kaffeemaschine ist von einem bitterschokoladigen Braun, der lange Wasserbehälter hingegen von quietschigem Orange. Solche Farben
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