Walter Ulbricht (German Edition)
Erich Honecker, sondern um die DDR und darum, welche Maßnahmen in der Politik und in der Ökonomie getroffen werden mussten, um das Land weiter zu entwickeln. Natürlich waren dabei auch Entscheidungen, die mit seinem Namen verbunden waren, kritisch zu prüfen. Als Mitglied des Ministerrats wusste ich von den Schwierigkeiten in der Wirtschaft und deren Auswirkungen auf andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Die wissenschaftlich-technische Revolution hatte Strukturfragen in der Wirtschaft aufgeworfen oder verschärft, welche sich aus der Spaltung Deutschlands ergeben hatten. Noch belastete uns, dass die hauptsächlichen Wirtschaftszweige sich traditionell im Westen Deutschlands befanden. Es blieb uns nichts anderes übrig, fast alles zunächst auf den Aufbau etwa der Schwer- und der Chemieindustrie zu konzentrieren, was dazu führen musste, dass andere Zweige zurückblieben.
Entscheidungen, die die Entwicklung des Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft begleiteten und mit denen die ohnehin angespannten Wirtschaftspläne zusätzliche Aufgaben gestellt bekamen, verschärften die Disproportionen in der Volkswirtschaft. Sie stellten die planmäßige und proportionale Entwicklung der Volkswirtschaft in Frage. Die Auswirkungen auf die sozialpolitischen Aufgaben machten sich bereits störend bemerkbar. Auf der 14. Tagung des Zentralkomitees 1970 wurden die Probleme kritisch analysiert und Schlussfolgerungen gezogen.
Wenn heute darüber geschrieben wird, dass das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft von Moskau und von Honecker liquidiert worden sei, ist Unwissenheit im Spiel oder man möchte von den wahren Ursachen unserer schweren Niederlage 1990 ablenken. Walter Ulbricht hatte Mitte des Jahres 1965 eine kritische Bilanz zum NÖSPL gezogen und auf dem VII. Parteitag daraus Schlussfolgerungen abgeleitet.
Die prinzipiell richtige Orientierung auf die Nutzung der wissenschaftlich-technischen Revolution und eine höhere eigenverantwortliche Führungstätigkeit der großen Wirtschaftskombinate, was auf die Erreichung einer höheren Arbeitsproduktivität gerichtet war, wurde 1970/71 nicht erledigt, sondern weitergeführt, was sowohl an einzelnen Maßnahmen wie auch an der Entwicklung des Nationaleinkommens in diesen Jahren unschwer festzustellen ist. Korrigiert und zurückgenommen wurden Übertreibungen und Überspitzungen, die mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten kollidierten. Auf dem VIII. Parteitag wurden entsprechende Beschlüsse gefasst. Diese zielten auf die Stabilisierung der Wirtschaft und ihr weiteres Wachstum mit dem Ziel der immer besseren Befriedigung der sozialen, materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Menschen. Schließlich ist dies ja die Bestimmung einer sozialistischen Wirtschaft.
Wir wussten es damals, und wir sehen es heute nicht anders, dass das Verhältnis zwischen der DDR und der Sowjetunion von existenzieller Bedeutung für uns war. Julij Kwizinskij, einst Diplomat an der Botschaft in Berlin und später Botschafter der Sowjetunion in Bonn, bezeichnete in seinen Erinnerungen das Verhältnis seines Landes zur DDR als »schizophren«.
Das sagt viel und doch nichts. Die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern kann man nicht mit einem Satz charakterisieren. Man versteht sie auch nur, wenn sie in die internationale Politik eingebettet betrachtet werden, also im historischen Kontext. Es bleibt: Die Sowjetunion hatte in der DDR ihren engsten und treuesten Bündnispartner. Gemeinsam mit den deutschen Kommunisten und Antifaschisten haben die sowjetischen Menschen dafür gekämpft, dass Deutschland vom Faschismus befreit wurde.
Aber, und das gehört auch zur Wahrheit: Die Beziehungen waren Beziehungen zwischen einer Großmacht und einem kleinen Staat, und eine Großmacht hat nun einmal eigene nationale Interessen, die für sie einen hohen Stellenwert besitzen. Die DDR war ein Land fast ohne Rohstoffe, sie war von der Sowjetunion ökonomisch abhängig, was natürlich auch Einfluss hatte auf die Beziehungen.
Vor der Geschichte wird Bestand haben, dass das Bündnis UdSSR-DDR jahrzehntelang einen entscheidenden Beitrag leistete für die Bewahrung des Friedens in Europa. Man sollte nie vergessen, dass die Sowjetunion im Kampf für den Weltfrieden die schwersten Lasten trug. Das scheint ein wenig aus dem Blick zu geraten, wenn man unsere Beziehungen auf Übernahme des sowjetischen Sozialismus-Modells reduziert. Das ist – ob
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