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Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
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wissentlich oder unwissentlich – die Übernahme eines der »Argumente« gegen den Sozialismus in der DDR, welches die tatsächliche Entwicklung ausblendet.
    Natürlich nutzten wir die Erfahrungen der Sowjetunion, schließlich hatte man dort zuerst das Neuland Sozialismus beschritten. In der sowjetisch besetzten Zone, später in der DDR, herrschten andere Bedingungen. Wir gingen demzufolge andere Wege bei der Bodenreform, der Bildungsreform, beim Umbruch in der Volkswirtschaft … So existierte neben dem Volkseigentum auch genossenschaftliches und Privateigentum. Wir hatten ein Mehrparteiensystem usw. Das heißt: Die DDR-Gesellschaft fußte auf anderen Grundlagen als die in der Sowjetunion, folglich gab es auch eine eigenständige Entwicklung.
    Natürlich gab es im Verlauf der Jahre unserer engen Zusammenarbeit auch Dummheiten, auf unserer Seite nenne ich die Versuche der Nachahmung, auf ihrer Seite den Hang zur Einmischung in unsere Angelegenheiten. Im Verhältnis zwischen dem großen und dem kleinen Bruder gab es Meinungsverschiedenheiten, auch solche ernster Natur wie die bereits im Zusammenhang mit Berija erwähnten. In den ökonomischen Beziehungen, die ja nicht unabhängig von der Weltwirtschaft existierten, verlief auch nicht alles reibungslos. Hier musste die DDR manches schlucken. Nachdem auf dem Weltmarkt die Ölpreise in die Höhe getrieben wurden, verlangte die Sowjetunion von der DDR einen dementsprechenden Preis. Das traf uns ins Mark und stellte die geplante Entwicklung infrage. Es gefährdete die DDR.
    In der Außenpolitik, wenn die Sowjetunion als Großmacht gegenüber den westlichen Großmächten handelte, gab es Gemeinsamkeiten, aber auch Kontroverses, mitunter gar Sand im Getriebe, wenn die sowjetische Führung Dinge anders beurteilte als die Führung der DDR. Ich erinnere nur an die Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen auf unserem Territorium als Reaktion auf die Maßnahmen des Westens. Das war für die DDR weder politisch noch ökonomisch leicht zu verdauen.
    Wenn die Interessen der DDR ignoriert oder übergangen wurden, stellte sich unsere Parteiführung, bei Pieck angefangen, dagegen. Nicht immer mit Erfolg. Trotz aller Querelen wurde der Bruderbund mit der DDR aber nie aufgekündigt. Das geschah erst durch den Verrat Gorbatschows und seines Gefolges. Schritt um Schritt haben diese unter dem Schleier der Perestroika alle marxistisch-leninistischen Prinzipien aufgegeben. Das endete schließlich im Chaos. Die einst starke Sowjetunion taumelte der Niederlage entgegen. Und ihre Führung biederte sich den USA und der BRD an, sie begab sich in deren Abhängigkeit und warf Prinzipien der internationalen Solidarität über Bord. Sie öffnete der Konterrevolution die Tore. Der Niedergang der einst mächtigen Sowjetunion war der Untergang der DDR und des ganzen sozialistischen Lagers.
    Es bewahrheitete sich, dass friedliche Koexistenz, wie von Lenin beschrieben, die Interessengegensätze zwischen den Systemen nicht aufhebt, dass der Kampf zwischen ihnen fortgeführt wird, dass Klassenkampf auf internationaler und auf nationaler Ebene bleibt. Das hatte diese Führung in Moskau vergessen oder in den Wind geschlagen. Das ist bitter, aber wahr.
    Für die einen ist Ulbricht ein »Stalinist«, für die anderen ein Arbeiter an der Staatsspitze. Die einen nennen ihn eine »Marionette Moskaus«, die anderen einen deutschen Patrioten. Für die einen ist er ein unverbesserlicher Dogmatiker, für die anderen ein mutiger Reformer. Für manche der »sächsische Bösewicht«. Der bekannte bürgerliche Publizist Sebastian Haffner bezeichnete Ulbricht 1966 als den erfolgreichsten deutschen Politiker nach Bismarck und neben Adenauer. Er meinte, in Deutschland hat Ulbricht nach Adenauers Abgang keinen Gegenspieler, der ihm das Wasser reichen könnte. Wenn du zurückblickst und Walter Ulbricht in die widersprüchliche Geschichte des 20. Jahrhunderts einordnest, was möchtest du besonders hervorheben?
    Jeder Mensch, auch jeder Politiker, hat Stärken und Schwächen, er kann irren und Fehler machen, Irrtümer begehen, die ernste Folgen haben können. Aber auch diese Fehler sollten, um gerecht zu urteilen, stets im Zusammenhang von Zeit und Raum betrachtet werden.
    Es widerstrebt mir, diese Stärke oder jene Schwäche Walter Ulbrichts hervorzuheben. Etiketten, die man unseren Politikern verpasst, oder Schubladen, in die man sie packen möchte, sind dumm und dienen der Geschichtsfälschung, letztlich ist das Teil

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