Walter Ulbricht (German Edition)
sozialistischen Schule und setzte sich dabei mit jener Auffassung auseinander, das in der achtjährigen Grundschule vermittelte Wissen reiche aus, um ein guter Facharbeiter zu werden. Die Politik der SED und der DDR orientiere auf eine Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus, erklärte er, um die Menschen zu befähigen, ein kulturvolles Leben in Wohlstand und Glück zu führen. Und nicht zuletzt stelle die fortschreitende Modernisierung, Mechanisierung und Automatisierung der Produktion, so Ulbricht weiter, und die Einführung der modernen Technik in der sozialistischen Landwirtschaft höhere Ansprüche, denen man mit der bisherigen Grundschulbildung und ohne polytechnische Ausbildung nicht mehr gerecht werden könne. Deshalb sei es erforderlich, zur zehnjährigen polytechnischen Schulbildung überzugehen.
Der Realisierung dieses Anliegens diente das im Dezember 1959 verabschiedete »Gesetz über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens in der DDR«. Um alle Kräfte auf die Verwirklichung dieses Gesetzes zu konzentrieren, wandte sich Ulbricht als Erster Sekretär mit einem offenen »Brief des Zentralkomitees der SED an alle Schulparteiorganisationen«, in dem er sich ausführlich mit den in den Schulen zu leistenden Aufgaben beschäftigte. Dieser Brief zeugte von der großen Achtung, die er den Pädagogen entgegenbrachte.
Auf dem VI. Parteitag der SED im Januar 1963 unterstrich Ulbricht, dass der in der Schulpolitik eingeschlagene Weg richtig und zweckmäßig sei. Er nannte den Aufbau der zehnklassigen Schule, die Einführung des polytechnischen Unterrichts und die enge Verbindung von Schule und Lebenswirklichkeit erfolgreich. Mit Verweis auf tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen und die wissenschaftlich-technischen Revolution unter sozialistischen Bedingungen forderte er grundlegende Konsequenzen für das gesamte Bildungswesen. Es ging also nicht nur um die Schulentwicklung, sondern um das Bildungswesen in seiner Gesamtheit, also vom Kindergarten bis hin zur Erwachsenenbildung. Ulbricht hielt zudem Schritte zur Überwindung der traditionellen Trennung von Allgemeinbildung und Berufsbildung für erforderlich.
Da die Entwicklung des Bildungswesens alle Bereiche der Gesellschaft betreffe, schlug Ulbricht dem Ministerrat die Gründung einer »Staatlichen Kommission zur Gestaltung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems« vor, in der alle Probleme der Weiterentwicklung des Bildungswesens erörtert und zur öffentlichen Diskussion gestellt würden.
Diese Kommission wurde im März 1963 aus der Taufe gehoben. Zum Vorsitzenden wurde Alexander Abusch berufen, ein Stellvertreter des Ministerpräsidenten. Die Mitglieder vertraten alle für das Bildungswesen bedeutsamen Wissenschafts- und Lebensbereiche: Pädagogen – Kindergärtnerinnen, Lehrer, Erzieher, Schuldirektoren, Hochschullehrer –, Psychologen, Mediziner, Sportwissenschaftler, Ökonomen, Soziologen, Historiker, Philosophen, Mathematiker, Naturwissenschaftler und Musiker. Präsent waren Akademien, Parteien, Einzelgewerkschaften, Staats-, Industrie- und Landwirtschaftsorgane. Allein die Zusammensetzung zeigte, dass die Probleme des Bildungswesens gesamtgesellschaftlich betrachtet wurden und auch gesamtgesellschaftlich gelöst werden sollten. Die Bildung stand mit im Zentrum der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Kommission lenkte zwei Jahre lang den Prozess der Ausarbeitung von Grundsätzen, wobei sie sich auf wissenschaftliche Vorarbeiten des Deutschen Pädagogischen Zentralinstituts stützte, und stimulierte eine umfangreiche öffentliche Diskussion darüber. Mehr als 5.000 schriftliche Stellungnahmen mit Kritiken und Vorschlägen wurden von Arbeitsgruppen geprüft und berücksichtigt. Die Kommission legte schließlich den so erarbeiteten Entwurf vor, der im Februar 1965 von der Volkskammer als »Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem« verabschiedet wurde.
Die Entwicklung des Bildungswesens wurde als ein in die gesamtgesellschaftliche Entwicklung integrierter Prozess konzipiert, als Einheit von Bildung und Erziehung, beginnend in der Krippe über Kindergarten und Oberschule bis zur beruflichen-, Hochschul- und Weiterbildung. Es war die progressive Fortsetzung der antifaschistisch-demokratischen Schulreform von 1946, gerichtet auf die Persönlichkeitsentwicklung der Heranwachsenden und die Vermittlung sozialistisch-humanistischer Werte.
Die Besinnung auf das progressive pädagogische Erbe des 17., 18. und 19.
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