Walter Ulbricht (German Edition)
heftig kritisiert und vermerkt habe: »Gebt dem bloß nicht die Partei in Bayern in die Hand.« Hermann Schirmer ist trotzdem 1948 ohne Ulbrichts Einspruch Landesvorsitzender der KPD geworden.
Meine Mutter hat die Runde im Wohnzimmer mit ihrer unnachahmlichen Gastfreundschaft bewirtet. Am nächsten Tag störte es WU nicht, dass er mangels anderer Gelegenheit am Abguss in der Küche seine Morgentoilette erledigen musste.
Ich war von WU sehr beeindruckt.
Unsere zweite Begegnung fand kurz nach meiner Übersiedlung in die DDR statt. Ich war zur 1. Funktionärskonferenz der FDJ am 26. November 1950 eingeladen und habe Walter Ulbricht erlebt, der im Juni auf dem III. Parteitag der SED Generalsekretär des ZK der SED geworden war. Er hat die Jugend zum »Feldzug zur Aneignung von Wissenschaft und Kultur« aufgefordert. WU vermochte es, eine enorme Aufbruchsstimmung zu verbreiten. Er kritisierte scharf die Säumigkeit der für das Hochschulwesen Verantwortlichen im Volksbildungsministerium und verlieh jener Entwicklung merklich Impulse, die später 2. Hochschulreform genannt wurde. Diese Reform war stark vom sowjetischen Hochschulmodell beeinflusst. Woran sonst hätten sich die neuen deutschen Machtorgane bei der Gestaltung der Arbeit der Universitäten und HochschuIen orientieren sollen? Sollten sie im Hochschulbetrieb alles beim Alten lassen wie im Westen?
Walter Ulbricht polemisierte auch gegen die Unsitte, Agitations- und Arbeitseinsätze während der Unterrichtszeit stattfinden zu lassen. Die Hauptaufgabe der Studenten sei »lernen, lernen und nochmals lernen«.
Seine Rede bestärkte mich in meiner Absicht, so schnell wie möglich ein Studium aufzunehmen. Von 1951 bis 1955 habe ich die 2. Hochschulreform als studiosus iuris an der Karl-Marx-Universität Leipzig in praxi erfahren. Ein sorgenfreies Studieren war materiell gesichert. Fast jeder erhielt ein Grundstipendium und fast die Hälfte der Studenten eine Leistungszulage. Studiengebühren gab es nicht. Das Recht auf fachgerechte Arbeit nach dem Studieren war garantiert.
Das Studium ging nach strengem Plan in einem »Zehn-Monate-Studienjahr« und war »durchorganisiert« mit Pflichtvorlesungen, Seminaren, Prüfungen, Praktika usw. Die Studenten wurden in Seminargruppen zusammengefasst.
Wir hatten enge Beziehungen zu unseren Professoren, Dozenten und Assistenten. Es galt das Prinzip der Einheit von Ausbildung und Erziehung. Die Universitäten und Hochschulen sollten nicht nur auf möglichst hohem fachwissenschaftlichem und pädagogischem Niveau Wissen und Können vermitteln, sondern die Studenten zu überzeugten Aktivisten beim Aufbau der neuen Gesellschaft erziehen. Zentrale Rolle dabei spielte das 1951 eingeführte obligatorische gesellschaftswissenschaftliche Grundstudium.
Die Neuerungen erlebten wir Studienanfänger als Selbstverständlichkeiten, gegen die nichts einzuwenden war. Im Gegenteil. Wir wussten, woran wir im Studienablauf waren, welche Vorlesungen, Seminare und Übungen wir wann zu besuchen hatten, welche Prüfungen abzulegen waren etc.
Die 2. Hochschulreform war zweifellos mit einer Verschulung des Studiums verbunden, der Studienplan mit obligatorischen Veranstaltungen überladen. Die selbständige wissenschaftliche Arbeit der Studenten sollte zwar Bestandteil der Ausbildung sein, in der Praxis aber wurde die Eigenverantwortung der Studenten und ihr Problemdenken zu wenig herausgefordert.
Die dritte Begegnung mit WU habe ich in weniger guter Erinnerung, sie fand während der Babelsberger Staats- und Rechtswissenschaftlichen Konferenz am 2. und 3. April 1958 statt. Ulbricht – nach meiner Einschätzung im Zenit seiner Macht – verurteilte scharf »Abweichler« unter den Rechtswissenschaftlern, die angeblich im bürgerlichen Rechtsdenken verhaftet seien. Sie wären von kapitalistischer Ideologie beeinflusst, von »Formalismus und Dogmatismus« angesteckt und durch Praxisferne verdorben. Seine Abrechnung mit »oppositionellen« Juristen war Teil der Strafmaßnahmen gegen aufmüpfige Intellektuelle, die sich nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 zu weit vorgewagt hatten und nun diszipliniert werden sollten.
Im Schussfeld des Ersten Sekretär befand sich der Rechtstheoretiker Hermann Klenner, der sich laut Ulbricht angeblich bemüht hatte, »den Klassencharakter des Rechts zu verwischen«. Er habe sich »völlig vom Leben losgelöst« und »die Verbindung mit der Basis verloren«. Ulbricht verallgemeinerte, das »Zurückbleiben der Staats- und
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